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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0347

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Schleißheim und Abschied von München.

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Wänden nm, die Gemälde hingen sämtlich in richtiger Verfassung
an ihren Stellen, befriedigt kehrte er wieder um, ohne auf die Ge-
sellschaft weiter zu achten. Jch dagegen betrachtete sie mit neugierigen
Augen. Was konnte geschehen sein? Josephinchen stand da, purpur-
übergossen, das Bild größter Verlegenheit, Pfeufer gleichfalls ver-
legen, lächelte, nur Bronuer sah frei von Befangenheit vergnügt
darein. Von ihm erfuhr ich, was sich ebeu zugetragen.

Die junge Dame hatte ihre Aufmerksamkeit nicht lange auf die
alten Gemälde gerichtet, weit mehr iuteressierten sie die Spiegel uud Kon-
sols und vor allem der prüchtige eingelegte Fußboden. „Wie schade!"
rief sie ihren Kavalieren zu, „ein Parket, so Herrlich und glatt und
gänzlich unbenützt!" Kaum hatte sie diese Andeutung gemacht, so faßte
sie Pfeufer um die Hüfte, Bronner pfiff und das Pärchen drehte sich
durch den Saal. Aber das tückische Parket brachte Josephinchen zu
Fall und sie zog ihren Tänzer nach sich, doch wie der Blitz rasfte
sich dieser elastisch empor und die Dame mit. Als der Führer ein-
trat, standen beide wieder fest auf den Füßen.

Diese Vorgänge hatten sich sehr rasch abgespielt und entgingen
dem Onkel gänzlich. Obwohl er hinreichend bibelkundig war, ver-
stand er doch die versteckten Anspielungen nicht, die auf dem Heim-
wege fielen, die ewig sich wiederholende Geschichte von Adam und
Eva, dem Sündenfall, und ach! dem verlornen Paradiese.

Am Fronleichnamstag waren wir begierig, die große Prozession
zu seheu. Der Maler führte Brouner und mich morgens bei guter
Zeit in ein passend gelegenes Kasfeehaus, wo wir im ersten Stock ein
Fenster in Beschlag nahmen, vor dem die Prozession defilierte; zu
uns gesellte sich das zutrauliche Nannerl, die fesche Kellnerin des
Hauses, und gab uns manche erwünschte Auskunft. Der Zug war
großartig. Der Erzbischof mit der Geistlichkeit, der König mit den
Prinzen, der Hofstaat, Adel und Minister, Militär und Bürger,
Männer und Frauen, alt und jung, zogen mit Musik, betend und
singend, viele nur plaudernd, vorüber. Auch Ringseis sah ich hier
zum ersten und letztenmale, er durfte nicht fehlen. Ganz gegen Ende
des Zugs kam psalmodierend ein Trupp Franziskaner. „Jetzt paßt
auf!" kicherte das Nannerl, „seht ihr den Dicken in der Mitte? Er
 
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