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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0370

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Jn der Alservorstadt.

war uns jungen Patrioten mehr als nur ein Prater oder ein großer
klinischer Lehrsaal, es leuchtete uns über der prächtigen Stadt ein
Schimmer der versunkenen Glorie deutscher Reichsherrlichkeit. Ja, die
Schatzkammer der Hofburg bewahrte die ehrwürdigen Reliquien des
heiligen römischen Reiches deutscher Nation, Szepter und Krone. Seit
einem halben Jahrtausend waren die Geschicke Deutschlands, freilich
nicht immer zu seinem Heile, an das Haus Habsburg geknüpft ge-
wesen, das hier in der Ostmark des Reiches residierte. Aus den Tho-
ren Wiens waren die kaiserlichen Heere die Donau hinabgezogen wider
den Türken, den Erbfeind der Christenheit, nnd an den Rheinstrom
wider den Franzosen, den Erbfeind des Reichs. Noch immer machte
ihr keine andre Stadt in den weiten dentschen Landen den ersten Rang
streitig, und der vornehmste unter den Fürsten des deutschen Bundes
war der Kaiser von Oesterreich. An Glanz der Geschichte, Pracht der
Palüste, Schönheit der Lage und Umgebnng kam in Deutschland der
kaiserlichen Residenz an der Donau keine gleich.

Nicht geringer als der Ruhm der Stadt, war das Lob der Ge-
mütlichkeit ihrer Bewohner und der Liebenswürdigkeit des österreichischen
Volksstammes überhaupt. Jn der That hatte uns auf der Wanderung
durch die Alpen die treuherzige Art und das freundliche Entgegen-
kommen des Volkes ungemein angesprochen, nur stimmten die Maut-
plakereien und Paßscherereien, denen der Reisende in dem Bereiche der
schwarzgelben Pfähle ausgesetzt war, nicht zu dem Lobe der österrei-
chischen Gemütlichkeit. Kein Tag verging, wo nicht die Pässe einmal
oder öfter vifitiert wurden, die Grobheit der kleinen Beamten übertraf
bei weitem die der unsrigen, und wvllte man nicht aufgehalten sein
und nutzlos seine Zeit verlieren, so durfte man mit halben und ganzen
Zwanzigern nicht kargen.

Gleich am Tage nach unsrer Ankunft eilten wir aus der Alser-
vorstadt, wo wir zunächst Wohnung gefunden, nach dem weit ent-
legenen Mautgebüude, um unsre Koffer zu holen. Nach vielem Laufen
und Bitten, unter Aufwand von großer Geduld und kleiner Münze,
wnrden sie endlich zur Stelle geschafft und visitiert. Beim Durchwühlen
der Kleider und Wäsche stießen die Bediensteten auf Druckschriften,
die anatomischen Werke Hyrtls und Rokitanskys. „Was?" wurden wir
 
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