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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0372

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Jn der Alservorstadt.

Alserstraße, dem allgemeinen Krankenhause gegenüber. Das Essen war
gut, mit uns speisten einige junge Ungarn, große Patrioten; den Vor-
sitz am Tische führte der Wirt, ein feister Mensch mit polnischem
Namen; er verekelte uns gleich in den ersten Tagen durch sein un-
sauberes Gesprüch dermaßen das Mahl, daß wir nach Umlaus einer
Woche das Haus verließen, in der Nähe eine bessere Wohnung be-
zogen und im Gasthause speisten.

Wir hatten diese neue Wohnung zufällig in einem großen Eck-
hause der Alserstraße entdeckt, elegant eingerichtete Zimmer, die uns
zu billigem Preise überlassen wnrden. Unser Mietsherr verweilte
Gesundheits halber auf dem Lande und wollte, wie man uns sagte,
erst im Herbste in die Stadt zurückkehren, wo wir die Zimmer wieder
räumen sollten.

Es war der pensionierte Professor der Pathologie und inneren
Klinik Franz Xaver von Hildenbrand, genannt der jüngere, zum
Unterschied von seinem berühmteren Vater, dem Kliniker Johann
Valentin von Hildenbrand, dem Verfasser einer geschätzten Monographie
des Flecktyphus. Hildenbrand, der Vater, war 1818 am Gehirnschlag
gestorben, den Sohn hatte gleichfalls ein Schlagfluß getrofsen und
unfähig zum Lehren gemacht. Wie uns die jungen Aerzte im Krankeu-
hause mitteilten, hatte dieser als Examinator den Kandidaten Skoda,
seinen späteren Nachfolger, in der Staatsprüfung durchfallen lassen.
Als er im Herbste heimkehrte, überließ er uns noch sür kurze Zeit
eines der großen Zimmer, das wir in Benützung gehabt; wir waren
ihm für diese Gefälligkeit dankbar und machten ihm deshalb unsre
Aufwartung, die er mit einem Gegenbesuche artig erwiderte. Er war
ein stark gebauter, breitschulteriger Herr nahe dem 60. Lebensjahre,
weder sein Gesichtsausdruck noch seine Unterhaltung verrieten die
schwere Verletzung, die sein Gehirn erlitten hatte. Nach dem An-
sall lagen seine geistigen Fähigkeiteu lauge darnieder, man hatte
ihn einem Magnetiseur iu Behandlung gegeben und allmählich war
seine Jntelligenz zurückgekehrt, aber die linke Seite blieb gelühmt
und wurde steif, er ging am Stock, unterstützt von einem Be-
dienten. Es interessierte ihn offenbar fehr, von uns zu vernehmen,
wie uns Skoda gefiele. Wir verhehlten ihm nnsre Bewunderung des
 
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