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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0376

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356

Umschau in Wien.

Selchfleisch mit Knödeln nebst einer Maß Bier, bezahlt mit 23 Kreu-
zern Münz.

Eines Tags statteten wir dem berühmten „schwarzen Kameel" in
der Altstadt einen Besuch ab, neugierig auf allerlei uns unbekannte
Leckerbissen und Weine, die hier in besonderer Güte geboten wurden.
Ein seltsames Servitut lastete auf der Wirtschaft. Die Speisen durften
nicht auf einem Tischtuch, sondern nur auf einem Wachstuch vorgesetzt
und keine Servietten gegeben werden, statt ihrer diente weiches, weißes
Papier. Wir ließen uns Bologneser Mortadella und Gorgonzolakäse
geben und tranken dazu alten Vöslauer, Tokaier und Cyperwein. Mein
Anteil an der Zeche betrng 54 Kreuzer Münz.

Zweimal stiegen wir zu einem Abschiedstrunk mit Landsleuten
in den Esterhazy-Keller hinab. Man nahm zu der Orkusfahrt Brot
und Käse mit. Jm Keller waren keine Stühle gestattet, man behalf
sich zum Sitzen mit Holzklötzen zwischen den Faßgestellen. Als wir
in das Licht des Tages zurückkehrten, tanzten die Straßen vor Freude,
uns wiederznsehen.

Jm Winter machten wir sogar eine Fahrt unter die Erde, die
ins Elysium führte, eine lange Reihe zu vergnügtem Treiben aufge-
putzter Kellerräume, aus dem letzten führte eine Eisenbahn ans Ende
der Welt, nach Australien.

Wie die Welt im Elysium, hörte die Wiener Gemütlichkeit bei
den Kellnern auf, sie rupften, soviel sie nur konnten, die mit dem
schlimmen Münzwesen Oesterreichs nicht vertranten Fremden. Jhre
Unredlichkeit wurde durch die doppelte Währung in „Schein und
Münz" kräftig unterstützt. Der Kellner stellte die Rechnung in
„Schein", auch Wiener Währung genannt, der Gast zahlte in Kon-
ventionsmünze, „Münz" kurz genannt; jene verhielt sich zu dieser wie
5 : 2. Verlangte z. B. der Kellner 50 Kreuzer Schein, so zahlte man
20 in Kupfer oder Silber. Man mußte deshalb die Note stets im
Kopfe umrechnen. Es war erstaunlich, wie rasch die Kellner dies aus-
znführen verstanden nnd nie zu ihrem Nachteil. Hierin, wie beim
Addieren der Zeche und beim Herausgeben von Münze, erwiesen sie
sich als Meister im Prellen.

Eine Menge Kupfergeld lief im kleinen Verkehr um und be-
 
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