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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0381

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Politische Streiflichter.

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Ludwig die Staatsgeschäfte. Gehaßte Regierungen könuen lange be-
stehen, wenn sie stark sind, verachtete nnd schwache sind dem Unter-
gang verfallen. Zwar die große Stille in Oesterreich stach ausfallend
ab von den drohenden Wetterzeichen in Frankreich, aber sie trügte, -
in der Tiefe arbeiteten fnrchtbare vulkanische Kräfte. Jn wenigen
Monaten brachen sie hervor und setzten das Reich in Flammen, beim
Klange des Fuchsenrittes der Wiener Studenten brach das System
und die Herrschaft Metternichs zusammen.

Was unsre Bekannten in den ärztlichen Kreisen besonders
empörte, war das Gnnstlingswesen, das sich ohne Scheu bei der
Besetzung offner Stellen an den Hospitälern, in der Fakultät und
dem staatsärztlichen Dienste hervorwagte. Man nannte uns Pro-
fessoren, Primar- und Seknndarärzte, auch Physici, die ihre Stel-
lung dem Patronate vornehmer Schürzen und einflußreicher Kntten
verdankten.

Trotz dieser Unzufriedenheit waren unsre Bekannten große öster-
reichische Patrioten und dem Erzhaus treu ergeben. Deutschland war
ihnen Ausland. Zwar unser süddeutsches Wesen, erklärten sie ehrlich,
mute sie als ein verwandtes an, aber eine norddeutsche oder gar
prenßische Brüderschaft blieb ihnen unverständlich. Dennoch begann
der deutschnationale Gedanke in Stndentenkreisen Wurzel zu fassen.
Wir lernten einen Mediziner aus Siebenbürgen kennen, der uns
einlnd, mit ihm und seinen Frennden einen Abend zuzubringen; sie
hatten eine Burscbenschaft Saxonia gegründet, trugen Farben und
sangen Lieder von Arndt und Körner.

Das systematische Niederhalten freien Bnrgersinns und Männer-
stolzes schien uns auch das Ehrgefühl der akademisch Gebildeten herab-
gedrückt zu haben. Der deutsche Student fühlte sich im Ringkampf
für Geistesfreiheit, Wahrheit und Recht als Kommilitone seiner Prv-
fessoren, der österreichische war zu sehr nur der untergebene Schüler.
Der Burschenkomment unsrer Hochschulen war voll Roheit, aber an
dem Grundsatz hielt er fest: die Mannesehre stehe höher als das Leben,
und danach regelte er die Formen seines Umgangs mit den Kameraden.
Wir waren nicht wenig betroffen, als wir an dem Mittagstisch, wo
wir mit einigen Sekundar- und Assistenzärzten zusammen speisten, unsre
 
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