Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0395

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Bei Semmelweis.

375

er sogleich, nachdem er eingetreten war, an das Bett der Gebären-
den, die ich zu besorgen hatte, und fragte mich nach dem Stande
der Geburt, worauf ich genaue Auskunft gab. So weit verfuhr er
nach der Ordnung, dann aber verstieß er gegen Takt und Sitte. Wollte
er meine Angabe kontrollieren, so mußte er felbst nachnnterfuchen oder
den Assistenten, Semmelweis, dazu auffordern, er rief aber die Heb-
amme ans Bett, um nachzuprüfen. Dies wäre schon einem Studenten
gegenüber unpassend gewesen, mir, einem approbierten Arzte gegenüber,
war es ganz ungehörig, doch mußte ich es hinnehmen und jedenfalls
zunächst schweigend das Weitere abwarten. Vermutlich, um ihm zu
gefallen, erklärte die Hebamme meine richtige Angabe für unrichtig.
Klein warf mir daraufhin einen strafenden Blick zu mit der Frage,
was ich dazu fage? Jch erwiderte ruhig, die Hebamme irre sich, ihr
Befund sei falsch, der meinige richtig. Nicht nur ich, alle anwefenden
Praktikauten und Semmelweis, der hinter Klein stand und über seinen
Vorgesetzten sichtlich aufgebracht war, waren gespannt, was er jetzt
thun werde. Er schwieg, überlegte einen Augenblick und prüfte, wie
es sich vorher geschickt hätte, selbst. Jch war meiner Sache so sicher,
daß ich auch Klein, im Falle er der Hebamme zugestimmt, wider-
sprochen hätte; Semmelweis kannte gleichfalls meine Fertigkeit in diesem
Abe der Geburtshilse und war entschlossen, wie er mir nachher sagte,
wenn nötig, gleichfalls nachzuprüfen nnd für mich einzutreten. Es war
jedoch nicht nötig, Klein war ehrlich, nickte mir freundlich zu und sagte:
„Sie haben recht!" — Es war ihm, wie die Oesterreicher meinten,
nnr darum zu thuu gewesen, den Ausländer zu demütigen.

Für die Bestrebungen seines Assistenten fühlte Klein keine Teil-
nahme. Die Koryphäen der jungen Wiener Schule, namentlich Skoda
und Hebra, erkannten die Tragweite der Entdeckung von Semmelweis
und unterstützten ihn möglichst, Klein aber stellte sich seinen Unter-
suchungen hindernd in den Weg, schwerlich aus Bosheit, sondern aus
Unverstand.
 
Annotationen