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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0433

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Die Heerfahrt nach Holstein nn Angust 1848. 41 z

nachmittags 6 Sektionen bei. Am 21. fuhr das Bataillon nach Har-
burg, um hier zu übernachten; als ich mich eben gelegt hatte, holte man
mich zu zwei plötzlich von der Cholera befallenen Soldaten, bei denen
ich die ganze Nacht bis zum Abmarsch des Bataillons am Morgen
verweilte. Mein Lehrer Pfeufer und viele Aerzte sahen damals in
der Eindickung des Blutes, als Folge der riesigen Wasserverluste durch
die Ausleerungen, die Ursache des tödlichen Verlaufs im Choleraanfall;
er hatte uns deshalb, um das Blnt dünner zu machen, Aderlässe em-
pfohlen. Jch befolgte den Rat, unerleichtert starben die beiden armcn
Bnrschen bald nach unserem Abmarsch. Es waren die einzigen Ader-
lässe, die ich bei der Cholera zeitlebens gemacht habe.

Jn Lüneburg hatten wir am 24. Ruhetag. Die Bürgerwehr
feierte an diesem Tage das Fest ihrer Fahnenweihe und lud uns zu
einem Ball ein. Auf dem weiteren Marsche über Uelzen nach Han-
nover und in Hannover selbst, von wo uns die Bahn am 29. nach Köln
brachte, meldeten sich noch zwei Cholerakranke, die wir zurücklassen muß-
ten. Auch Freund Förster schleppte sich, unterstützt von einem andern
Freiwilligen, bei der Abfahrt von Hannover krank an den Bahnhof; er
litt an Cholerine und bat mich flehentlich, ihn nicht zurückzulassen.
Jch legte ihn auf Stroh in den Gepückwagen und nahm ihn mit,
er nahm Opium und genas. Jn Köln kamen wir nachts 2 Uhr an.
Unsre Leute mußten in einer übelriechenden Reitschule auf schlechtem
Stroh ohne Abendbrot zwei Stunden zubringen, bis Reveille ge-
schlagen wurde und wir die Dampfschiffe zur Fahrt rheinaufwärts
besteigen konnten. Die badische Jnfanterie trug damals Mäntel aus
weißen Schaffellen; als das Bataillon in die Reitschule getrieben
wurde, wie eine Schafherde in die Hürde, begannen die Leute zn
blöken, worüber unser guter alter Major außer sich geriet, aber was
war dagegen zu machen?

Der letzte Mann, der an Brechruhr schwer erkrankte, meldete
sich gerade bei der Abfahrt auf dem Dampfschisf, wir mußten ihn
mitnehmen und konnten ihn erst in Coblenz ans Land bringen, wo
er in das Militärspital getragen wurde. Er genas nach einigen Tagen,
aber sein Wärter erkrankte und erlag der Seuche in 20 Stunden. Bis
dahin war kein Fall von Cholera in Coblenz vorgekommen.
 
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