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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0462

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442

Weitere Erlebnisse in Rastatt.

er stumm und traurig drein. Als ich ihu uunmehr aufforderte, der
Ordounanz sich anzuschließen, um das Fort zu verlasfen, bat er mich
schüchtern, ihn lieber in die Kasematten zurück zu schicken. Jch traute
meiuen Ohren nicht, uud die Umsteheuden waren außer sich über den
einsältigen Menschen. Er dauerte mich und ich fragte ihn, warum
er nicht vorziehe, zu den Seinigen heimzukehren? Da stellte es sich
heraus, daß er keine besaß, weder Eltern noch Geschwister, noch irgend
welche Verwandte. Er war seit frühster Kindheit Waise, mittellos
unter dem Vieh der Bauern aufgewachsen, hatte nie ein liebreiches
Wort uud nie satt zu essen bekommen. Jn den Kasematten waren
ihm die Mitgefangenen freuudlich begegnet, der arme Bursche war
endlich satt geworden, darum wäre er lieber geblieben. Er besaß keinen
Heller Reisegeld, ich gab ihm etwas Münze mit auf den Weg, betrübt
schritt er hinter dem Unterofsizier aus der Thüre.

Einen allezeit guten Humor bewahrte „ein lustiger Musikante"
vvm Main, Philipp Reuter von Wertheim, obwohl das Damokles-
schwert des Staudrechts über ihm hiug. Weniger der Freisinn, als
der Leichtsinn hatte ihn zu den Aufständischen geführt. Er war Ka-
meralpraktikant in Donaueschingen gewesen. Wie Fickler erzählt, war
er als ausgezeichneter Musiker apu Hofe des Fürsteu von Fürsten-
berg, einem großen Musikfreundch geschätzt und als ein stets ausge-
räumter Gesellschafter in den Kreisen der kleinen Residenzstadt gerue
gesehen gewesen. Mit dem Ausbruch der Revolution kam er als
Kriegskommissär.zum Heer und zuletzt als Proviantmeister nach Ra-
statt. Kurz vor der Uebergabe der Festung hatte er sich eine grobe
Ungebühr zu Schulden kommen lassen, die ihn das Leben kosteu konnte.
Jn dem Militärspital hatte es an Weißz-eug gefehlt, stark angeheitert
requirierte er es in dem Hause des geflüchteten Bankiers Meyer
und bedrohte Frau Meyer mit gewaltsamem Vorgeheu. Wegen eiuer
leichten Ruhr befand er sich jetzt, nahezu hergestellt, im Lazarett.
Als ich ihn zum erstenmal bei der Morgenvisite sah, war er gerade
beschüftigt, in nachlässiger Toilette mit einem großen Fliegenwedel
die lästigen Stubengüste an den Wünden zu verfolgen, und rief, zum
Ergötzeu seiner Stubenkameraden, grimmig: „Tod den Tyrannen! Ty-
rannenblut muß fließen!"
 
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