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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0503

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Gelähmt.

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halt, hinterließ eine Lähmung der unteren Körperhälfte und machte
mich wahrscheinlich zur.Ausübung meines Berufs dauernd unfähig.

Meine Lage war fehr schlimm. Vor allen Dingen bedurfte ich
chirurgifcher Hilfe. Leider hatte der Kollege, der neben mir im Orte
praktizierte, wie ich aus seinem eigenen Munde wußte, noch niemals
den Katheter eingefnhrt und diese so häufige und wichtige, nicht selten
auch fchwierige Operation dem Bader überlasfen, dessen Geschicklich-
keit ich nicht recht traute. Da fiel mir zu meinem Glücke ein, daß
einer meiner Basler Freunde, I)o. Theodor Schneider, der bis vor
kurzem Assistent der chirurgischen Klinik gewesen war, seine Stelle auf-
gegeben hatte, um in wenigen Wochen nach Amerika zu reisen. Er
verweilte gerade zu Besuch bei seinem Oheim, dem Pfarrer Schneider
in Feldberg bei Müllheim. Jch schickte ihm einen Boten, konnte aber
die Ankunft meines Frenndes nicht allwarten, meine Qual wurde un-
erträglich, gegen mittag mnßte ich mich doch dem Bader anvertrauen.
Obwohl er znm Ziele kam, svlgte dem Eingriff eine Entzündung.
Abends kam mein Freund. Mit aufopfernder Hingebung verweilte er
einige Wochen bei mir und besorgte mich und meine Kranken; niemand
hat mich in meinem ganzen Leben so zu Danke verpflichtet, wie er.
Mein Frennd und Samariter lebt hente, von der ärztlichen Thätigkeit
zurückgezogen, in Dornach bei Basel.

Unsere anatomische Kenntnis der Rückenmarkskrankheiten stand
damals noch auf schwachen Füßen. Jch stellte mir vor, daß es sich
um eine NeiriirAitiZ 1riM.dai-i8 rheumatischen Ursprungs handle, um
einen wässrigen trüben Erguß in und zwischen die Häute des untersten
Abschnitts des Rückenmarks und seiner Nervenstränge, von ähnlicher
Beschaffenheit, wie die Flüssigkeit, die in den Gelenken beim akuten
Rheumatismus gefunden wird. Meine Krankheit für rheumatisch an-
zusehen, berechtigten mich die vorausgegangenen Umstände und die Ab-
wesenheit von andern bekanntenUrsachen, namentlich von Jnfektionen. Da-
raus schöpfte ich einigen Trost, da ich schon einmal eine schwere rheumatische
Krankheit glücklich überstanden hatte; noch mehr Hoffnung faßte ich,
als die Entzündung in den nächsten Tagen nicht höher stieg.

Gleich am ersten Tage nahm ich ein Wiener Tränkchen, um den
Abfluß des venösen Blutes aus dem Wirbelkanal in die Banchhöhle
 
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