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Die Hermagoras-
legende.

In derselben Periode setzen annähernd die christlichen Inschriften Aquilejas ein1) und die
Bischofskataloge dürften bis dahin als nicht unglaubwürdig, wenn auch als schwankend erschei-
nen. In der Lebensgeschichte des Hilarus wird aber sogar vorausgesetzt, daß schon vor ihm
das Christentum in Aquileja war, denn er wird als Kind in diesen Lehren unterrichtet und
später auf dringenden Wunsch der Gemeinde zum Bischof eingesetzt. Die ihm geweihte Kirche,
von der wir später berichten, bestand in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts.

Im Chronicon Patriarcharum2) wird aber Hilarus unmittelbar nach dem ersten Glaubens-
boten Hermagoras mit «huic successit» angeführt, obwohl der letztere unter Nero, ersterer aber,
wie ausdrücklich gesagt wird, unter Numerian wirkte. Hier ist also offenbar ein Irrtum oder
eine Lücke vorhanden. So sicher wir sagen konnten, daß die bisher angeführten Legenden
mit Einschluß der Hilarusakten im 4. Jahrhundert bekannt waren, ebenso vorsichtig müssen
wir nunmehr fragen, ob man zur selben Zeit in Aquileja sich etwas von den ersten Glaubens-
boten, insbesondere von Hermagoras und einer apostolischen Wirksamkeit desselben erzählte,
oder ob diese Legenden ganz und gar nur Erzeugnisse jener Phantasie sind, welche der ge-
wissenhafte Sammler des Anastasiusberichtes ablehnt.

Hören wir zunächst die Legende, welche die Lebensgeschichte des Hauptheiligen unseres
Domes erzählt.3)

Bald nach Petri Eintreffen in Rom soll dessen Begleiter Markus Aquileja, die altera Roma,
aufgesucht haben. Nach kurzer Wirksamkeit daselbst bezeichnet Markus den vom Volke
genannten Hermagoras (elegantem personam et condignam) als seinen Nachfolger, den er sofort
nach Rom zu Petrus führt.4) Der Apostelfürst gibt ihm einen Stab (baculum pastoralem) und
ein merkwürdiges heiliges Tuch (velamen sacramenti — cum benedictione) und setzt ihn zum
«episcopus provinciae Italiae» ein.5) Hermagoras wirkt hierauf nach übereinstimmenden Angaben
zwanzig Jahre in Aquileja. Nach den im Manuskripte des Kapitelarchives von Görz vorhandenen
Akten der heiligen Euphemia6) wohnte Hermagoras im Anfange seiner Tätigkeit dort, ubi Sanctus
Marcus Evangelista sedem statuerat, und zwar innerhalb der Stadt. Jene Örtlichkeit soll den
Namen «pabulum vite» (eine Marktbezeichnung?) geführt haben. Ein anderes Detail der alt-
aquilejensischen Topographie ist die rippa Clementiana (rippa Clementis), wo das Haus des
Valentius, wie es scheint auch das des Valentianus, seines Bruders, stand. Letzteren, einen vor-
nehmen Bürger der Stadt, gewinnt Hermagoras und tauft dessen Nichten und Töchter Euphe-
mia, Thekla, Dorothea und Erasma im Flusse Natissa.7) Nach deren Martertode verlegt er seinen
und des heiligen Markus Sitz in das Haus des Valentian, wo er in der Nähe jener vier heiligen

*) Corpus Inscriptionum lat., V.Band. Dazu Pais, Supplementa
italica. Vgl. noch Maionica, Wegweiser und Archeogr. Triestino.
Jahrg. XX, N. S., S. 171—178. Fundkarte (passim). Wilpert, Altchristl.
Inschriften, und Cabrol, Thesaurus.

2) De Rubeis, Mon. Appendix, S. 6 f.

3) Manuskripte der Akten im Kapitelarchiv von Görz, Cod. I,
S. XIV u. CLXVIIII, fast gleichlautend mit dem Text der Bollan-
disten (Acta SS., Juli III, S. 250 fr. u. Mombritius, II. Band, S. 11 f.),
während die kürzere und, wie schon S. 34 erwähnt, offenbar ältere
Rezension, dem Kodex 53 der Stadtbibliothek von Namur entnommen,
in den Anal. Boll. I, S. 485 f. u. II, S. 311 f., publiziert ist. Ferner ent-
halten Manuskripte: Nach Monticolo (in Nuovo Archivio Veneto, III,
p. 1, S. 125), Cod. Vat. Palatin. 846 (col. 18 A), IX. Jahrh., Vat. Regina
539 (col. 139 B), Marcianus Lat. IX, 27 (col. 49 A), Vallicellianus tom. I
(col. 215 B) u. tom. XXV (col. 264 A). Hierzu kommen nach Lipsius,
(Apogr. Apostellegenden, S. 346): Cod. S. Genof., Paris H., 1. g, saec. X
oder XI, f. 36'. Ferner in Cod. Bibl. aedil. Flor. 133, S. 116. Der von
den Anal. Boll. XII, 1893, S. 43, angeführte Codex Cenomanensis (Le
Mans, Dep. Sarthe) mit einer unvollständigen vita unserer Heiligen
ist ohne hagiographische Bearbeitung im Catalogue general des Manus-
crits des bibliotheques publiques de France. Departements. Band XX,
Paris 1893, S. 156 beschrieben. Drei österreichische Handschriften
(Heiligenkreuz, Lilienfeld und Melk), des Legendarium austriacum,
in Anal. Boll. XVII, 1898, S. 71. Vgl. Kerschbaumer, Bistum St. Pölten
I, S. 49 ff. Eine rhetorisch abgefaßte Vita S. Hermagorae, 1652 in
Udine von Basilius Zancharolus herausgegeben, ist wissenschaftlich
ohne Belang.

+) Über den Namen Hermagoras, den Dandolo «natione Ger-
manus ex diuturno incolatu civis Aquilegiae» nennt (1. c. S. 15), vgl.
bezüglich der griechischen Erklärung Pape, Wörterbuch der griechi-
schen Eigennamen (= Markwart). Monticolo bringt (Inventio, S. 121,

Anm.) die Erklärung «vir provinciae». Als verwandte deutsche Namen
wären nach Förstemann (Altd. Namenbuch, 2. Aufl., I, S. 471) Ermger,
Ermgar, Ermigar, Hermigar, Iringer zu denken. Bei dem Völker-
gemisch Aquilejas, schon in der Antike, erscheinen nichtrömische Namen
in größerer Zahl. Vgl. Pauli, Altitalische Forschungen, 3. Bd., S. 357f.
439. Eine Zusammenstellung der Berührung mit dem germanischen
Norden bringt Krones, Handbuch, S. 157. Über die Reste der alten
Cimbern bei Vicenza und Verona («sette comuni») siehe Cipolla, Le
populazioni, S. 5 fr. Die Bewohner sagen von sich: I pi an Cimbar.

5) In den jüngeren Berichten: «Prothonepiscopus Italiae.»
Wenn diese Ausdrücke an die Metropolitanstellung Aquilejas erinnern,
eine Annahme, welche durch den Ausdruck provincia im Gegensatz
zu Diözese und Italia bestärkt wird, wären sie im Einklang mit Ci-
pollas Forschungen (Deila giurisdizione, S. 75) vom Anfang des S.Jahr-
hunderts an aktuell gewesen. Hingegen verdient eine Bemerkung
Prof. Maionicas Beachtung, ob nicht der Name des aquilejensischen
Präses «Sebastos» als später mißverstandener Ausdruck für des Kaisers
Majestät darauf schließen lasse, daß die Urschrift unserer Akten grie-
chisch war, eine Möglichkeit, die bei der Erklärung des Wortes Pro-
thonepiscopus ebenfalls ins Auge gefaßt werden muß; vgl. Du Cange,
Glossarium unter nqoDonännao, und ji-qod-OjrmrnMg. Über 2?.ßaGTÖg
vgl. Pape, Wörterbuch, S. 1356.

6) Fehlen bei den Bollandisten, obwohl diese Acta SS., Sept. I,
S. 605 f., einen Band «ex tabulis ecclesiae Aquilejensis ex tomo H.,
fol. 315» wie eine Melker Handschrift kennen. Die ältere Literatur
ist zusammengetragen bei Treus, Monumenta, S. 5 — 7. Dort auch
die Beziehungen zu Ravenna. (Hieron. Rubeus, lib. I, Histor. Raven-
natum, S. 30.) Eine neuere «panegyrische» Geschichte dieser Hei-
ligen erschien 1884 u. 1886 von Kanonikus G. D. Foschia in Udine.
Vgl. Occioni Bonafons, Nr. 958 und 1288.

7) Hagiogr. lat. II, S. 406.

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