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das Naturschöne ausschliesst. Dennoch ist sie noch nicht eng genug.
Denn sie umfasst eine Menge Thätigkeiten, die zwar der weitere
Sprachgebrauch als Künste bezeichnet, die aber das allgemeine
Gefühl, das in jedem Menschen lebendig ist, nur mit Widerstreben
unter diesem Namen gehen lässt. Werte, die dem Menschen ein
Vergnügen bereiten, schafft nicht nur die Poesie, sondern auch die
Kochkunst, nicht nur die Malerei, sondern auch die Seiltänzerei,
nicht nur die Musik, sondern auch die Wissenschaft, nicht nur
die Architektur, sondern auch die ethische Vortrefflichkeit. Und
dennoch sind, wie jeder sofort sieht, Kochkunst und Seiltänzerei,
Wissenschaft und braver Lebenswandel keine künstlerischen Thätig-
keiten.
Wir müssen also einen zweiten Unterschied machen, indem
wir Künste im weiteren und engeren Sinne voneinander unter-
scheiden. Die Ästhetik hat sich von jeher vorwiegend mit den letz-
teren beschäftigt. Da wir aber vollkommen vorurteilslos an unsere
Aufgabe herantreten, müssen wir die uneigentlichen Künste zu-
nächst noch einer Untersuchung unterziehen. Vielleicht gewinnen
wir, indem wir sie mit den eigentlichen vergleichen, einen wich-
tigen Anhalt zur Ermittelung des Wesens der letzteren.
Am besten wird man dabei wieder vom Sprachgebrauch aus-
gehen. Wir haben uns gewöhnt, Kunst und Wissenschaft, Kunst
und Handwerk paarweise zusammen zu nennen. Das beruht zum
Teil ohne Zweifel auf einer gewissen Ähnlichkeit, zum Teil aber
auch auf einer Verschiedenheit der beiden Glieder. Bei Kunst
und Wissenschaft könnte man die Ähnlichkeit in der vorwiegend
geistigen Natur des Schaffens, bei Kunst und Handwerk in der
Übereinstimmung in Bezug auf das Können, die manuelle
Geschicklichkeit suchen. Aber gerade die Zusammenstellung zeigt
uns, dass wir Kunst und Wissenschaft nicht identifizieren, Kunst
und Handwerk nicht als dasselbe ansehen. Wir finden zwischen
ihnen wohl eine Ähnlichkeit in gewissen Dingen, dafür aber in
anderen wieder eine Verschiedenheit.
Diese Verschiedenheit beruht, um das hier gleich vorweg zu
bemerken, auf dem Verhältnis der Thätigkeit zum Genuss einer-
seits und zu sonstigen Zwecken andererseits. Auch wissenschaft-
liche und handwerkliche Thätigkeiten können Genuss erregen.
Aber dieser Genuss ist bei ihnen nicht das Wesentliche, nicht
der eigentliche Zweck. Die wahre Kunst dagegen hat in erster
Linie den Zweck, Genuss zu bereiten. Das kann man an einigen
 
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