Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
377

ästhetischen Wert einer solchen phantastischen Kunst in ihrem
Inhalt zu suchen. Das Phantastische als Inhalt, d. h. als blosse
Steigerung oder Veränderung der Natur hat an sich nicht den ge-
ringsten ästhetischen Wert, ist überhaupt gar nichts Ästhetisches.
Die Behauptung unserer idealistischen Ästhetik, der Beschauer
werde dadurch in eine höhere ideale Sphäre emporgehoben, der
niederdrückenden Alltäglichkeit des Daseins entzogen, erweist sich
diesen halbtierischen Vertretern einer niederen Sinnlichkeit gegen-
über als völlig unhaltbar. Eher könnte er durch sie in eine niedere
Sphäre herabgezogen werden. Das Entscheidende ist vielmehr,
dass er überhaupt in eine andere Sphäre versetzt wird, und das
liegt im Wesen der Kunst, nämlich darin, dass sie keine Wirk-
lichkeit sondern Schein ist. Das Schöne am Kunstwerk ist also
nicht die im Inhalt liegende Veränderung der Natur, sondern das
was bei dieser Veränderung Illusion erzeugt, d. h. die Glaubwürdig-
keit der Schilderung. Es ist also falsch, diese „Phantasiekunst“
gegen den Realismus auszuspielen. Man zeigt damit nur, dass
man das ästhetische Problem nicht verstanden hat.
Und wenn man die Kunst Boecklins so lange verkennen konnte,
so erklärt sich das einfach daraus, dass man sich früher überhaupt
nicht klar machte, was das Schöne sei. Man stiess sich an der Häss-
lichkeit dieser Geschöpfe, an ihrem wilden, sinnlichen Ausdruck,
weil man glaubte, das Schöne bestehe in bestimmten „schönen“
Formen, einem bestimmten „schönen“ Ausdruck. Aber die An-
gemessenheit an den dargestellten Inhalt verlangt hier gerade das
Hässliche und Sinnliche des Ausdrucks. Denn Hässlichkeit und
Sinnlichkeit gehören ja eben zum Wesen dieser Geschöpfe dazu.
Also kann man auch gar nicht wünschen, sie in der Kunst schön
und gesittet zu sehen. Der Fehler des Bildungsphilisters, dem
diese Kunst nicht gefällt, besteht eben darin, dass er die Schönheit
des Kunstwerks in den Reizen der ersten oder zweiten Vorstellungs-
reihe allein sieht, statt in dem Verhältnis beider zueinander.
Übrigens ist an dieser langen Verkennung Boecklins auch die
Kritik schuld, die das Wesen seiner Kunst immer in ihrem phan-
tastischen Inhalt und der dadurch bedingten Abweichung von der
Natur gesucht hat, statt in dem, worin es wirklich besteht, nämlich
dem intimen Naturgefühl, mit dem diese Dinge gemalt sind. Und
wenn man diese Kunst gar gegen die Illusionsästhetik ins Feld
führen will, indem man behauptet, sie sei ja der beste Beweis,
dass es nicht auf die Übereinstimmung der Kunst mit der Natur
 
Annotationen