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FÜNFZEHNTES KAPITEL
DIE KUNST ALS SPIEL

SEITDEM Kant und Schiller den Spieltrieb zur Erklärung der
Kunst herbeigezogen haben, sind wiederholt Versuche ge-
macht worden, die psychologische Verwandtschaft der Kunst mit
dem Spiel ausführlicher zu begründen. Aber erst der Illusions-
ästhetik ist es gelungen, das Problem vollkommen zu lösen, und
zwar durch eine genaue Analyse des Illusionsspiels und durch den
Nachweis, dass die Kunst im Leben genau denselben Zweck hat
wie das Spiel. Wenn diese Ähnlichkeit trotzdem nicht von allen
Gelehrten zugestanden wird, so liegt dem ein doppelter Irrtum zu
Grunde, erstens eine Unterschätzung des Spiels, das man ganz
irriger Weise für eine unwichtige und nebensächliche Thätigkeit
hält, zweitens eine Überschätzung der Kunst, der man ohne Grund
einen sogenannten höheren Zweck, d. h. eine moralische Absicht
zuschreibt. Es wird also darauf ankommen, zunächst die Ähn-
lichkeit des Spiels mit der Kunst im einzelnen nachzuweisen, und
dann die Behauptung von der höheren moralischen Absicht der
Kunst zu widerlegen.
Das erste, was das Spiel mit der Kunst gemein hat, ist sein
Lustcharakter und seine praktische Zwecklosigkeit.
Es giebt kein Spiel, das nicht sowohl dem Spieler als auch dem
Zuschauer Vergnügen bereitete. Wenn Kinder beim Spiel zuweilen
weinen oder Erwachsene in Streit geraten, so kann das deshalb
nicht dagegen angeführt werden, weil es gar nicht zum Spiel
gehört, im Gegenteil die Folge eines gewaltsamen Aussetzens der
Spielstimmung ist. Wir haben es genau so zu beurteilen wie das
Weinen in der Tragödie oder beim Anhören von trauriger Musik.
Ein Kind, das mit Leidenschaft spielt, lässt sich durch einen Miss-
erfolg nicht in seinem Spielgenuss stören. Die Freude am Spiel
ist immer grösser als der etwaige Ärger über einen dabei erlittenen
Verlust oder eine sonstige Benachteiligung.
Auch das Spiel verfolgt keinen anderen unmittelbaren Zweck
als den Lust zu bereiten. Natürlich hat es ebenso wie die Kunst
auch einen höheren biologischen Beruf. Dieser ist aber dem
Individuum während des Spiels nicht bewusst oder braucht ihm
 
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