Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ACHTZEHNTES KAPITEL
DAS HÄSSLICHE UND TRAURIGE
IN DER KUNST

IR haben im Laufe unserer Betrachtungen wiederholt darauf
hingewiesen, dass der Kunstgenuss schon deshalb nicht
auf dem Inhalt beruhen kann, weil die Kunst sehr häufig das
Hässliche und Traurige darstellt. Hier soll dieser Gesichtspunkt
noch einmal im Zusammenhang behandelt werden. Die Frage-
stellung ist dabei von vornherein gegeben: Wenn die Ursache der
ästhetischen Lust wirklich auf dem Inhalt beruhte, so wäre es
vollkommen unverständlich, wie die Plastik und Malerei so oft
hässliche Personen und widerwärtige Dinge, die Tragödie so oft
schlechte Charaktere, traurige Ereignisse und grausige Situationen
darstellen kann. Es kommt also nur darauf an, dies im einzelnen
nachzuweisen und zu zeigen, dass die von der Inhaltsästhetik vor-
gebrachten Erklärungen dieser Thatsache nicht stichhaltig sind.
Wenn man das Wesen des Hässlichen analysieren will, so ist
das eigentlich erst möglich, nachdem man zuvor das des Schönen
analysiert hat. Natürlich handelt es sich dabei nicht um das Kunst-
schöne, sondern um das Naturschöne, d. h. das, was die Kunst als
an sich schön und befriedigend aus der Natur auswählt und dar-
stellt. Dies ist aber ein so schwieriger und komplizierter Begriff,
dass ich ihn erst später, im 25. Kapitel ausführlich behandeln kann.
Ich will also vorläufig, ohne mich auf genauere Distinktionen ein-
zulassen, unter einem hässlichen Inhalt einen solchen verstehen,
der, wenn er uns statt in der Kunst in der Natur entgegenträte,
ein Unlustgefühl in uns erzeugen würde. Und das eigentliche
Problem, um das es sich hier handelt, ist das, wie es kommt, dass
ein Kunstwerk mit hässlichem Inhalt Lust erregen, eine hässliche
Natur in die Kunst übersetzt genossen werden kann.
Die Thatsache selbst ist über jeden Zweifel erhaben. Sie war
schon dem Aristoteles bekannt. Dass man auch an der malerischen
Darstellung hässlicher Tiere und Leichen Vergnügen haben könne,
erklärte er in scharfsinniger Weise daraus, dass die Ähnlichkeit
 
Annotationen