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24Q
ist nicht erklärt, dass Künstler wie Leonardo da Vinci und Dürer,
die doch wahrhaftig ein starkes künstlerisches Temperament hatten,
ihre ästhetische Überzeugung so ganz durch die wissenschaftliche
Seite ihrer Natur hätten bestimmen lassen sollen. Nein, eine
so allgemein verbreitete und mit solcher Energie verfochtene
Überzeugung kann nichts äusserlich Übernommenes, sondern
nur etwas selbst Erlebtes, aus dem eigensten Gefühl Hervor-
gegangenes sein.
Ich erkläre mir diese realistische Überzeugung daraus, dass
den klassischen Meistern diese Veränderungen der Natur, soweit
sie überhaupt damals schon ausgebildet waren, als etwas ganz
Selbstverständliches erschienen, worüber man nicht viel Worte zu
machen brauchte. In der That wird man annehmen müssen, dass
jeder Künstler mit der Begabung für seine Kunst und der lang-
jährigen Erziehung, die er genossen, ein untrügliches Gefühl für
das mitbekommen hat, was in seiner Kunst darstellbar ist und
wie er die Natur verändern muss, um mit seinen Mitteln Illusion
zu erzeugen.
Bei unseren modernen Künstlern liegt die Sache etwTas anders.
Wir sind durch die subtile Ausbildung der Technik und besonders
durch das Hilfsmittel der Photographie dazu gelangt, dass wir die
Natur völlig objektiv und in ihren feinsten Details auf die Fläche
bannen können. Für unsere moderne Kunst liegt darin und be-
sonders in dem Einfluss der Photographie eine gewisse Gefahr.
Das Vermeiden dieser Gefahr, die Flucht vor der Photographie ist
es, die meiner Überzeugung nach bei vielen modernen Künstlern
die Meinung aufgebracht hat, die Absicht der Kunst gehe von der
Natur weg, auf eine idealisierende, stilisierende Auffassung.
Ich halte diese Anschauung im Interesse einer gesunden Kunst-
entwickelung für höchst bedenklich. Die Sache verhält sich viel-
mehr so, dass jeder Künstler, der überhaupt eine ausgesprochene
Individualität hat und die technischen Darstellungsmittel seiner
Kunst beherrscht, die Natur nicht sklavisch, mit Verleugnung seines
eigenen Wesens und der Bedingungen seiner Kunst nachahmen,
sondern sich unwillkürlich einen Stil, eine ausgeprägte Eigenart in
der Auswahl und Veränderung der Natur bilden wird. Thatsächlich
fällt es auch unseren grossen Naturalisten nicht ein, die Natur ohne
Veränderungen nachzuahmen. Diese Forderung besteht vielmehr
nur in der Theorie. Nach einer subjektiven Eigenart mit Bewusst-
sein zu streben ist ganz überflüssig, ja vom Übel, da daraus nur ein
 
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