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diese Kritiker das Schöne nennen, ist gar nichts anderes als das
konventionell Schöne, das nach dem Vorhergehenden gar keine nor-
mative Bedeutung hat. Was sie dagegen das Hässliche nennen, ist
das was bisher von der Kunst noch' nicht dargestellt worden ist,
jetzt aber auf Grund einer gesteigerten Technik und der Eröffnung
neuer Stoffgebiete dargestellt wird, weil es dargestellt werden
kann. Auch dieses wird einmal von der Kritik in den Kanon des
künstlerisch Darstellbaren, d. h. Schönen aufgenommen werden.
Ob es ein Recht dazu hat, lässt sich von vornherein nicht be-
stimmen. Das hängt vielmehr lediglich von der Kraft der Illusion
ab, mit der bedeutende Künstler es immer wieder den Menschen
vor Augen stellen. Zeigt sich im Laufe der Zeit, dass auch dieses
scheinbar Hässliche, zum mindesten Unbedeutende und Gleich-
gültige, an dem frühere Generationen achtlos vorübergegangen
sind, mit den gesteigerten Mitteln der modernen Technik und
dem intensiveren Naturgefühl der modernen Zeit so dargestellt
werden kann, dass die Mehrzahl der Gebildeten dadurch in Illusion
versetzt wird, so ist damit nicht nur das Darstellungsgebiet der
Kunst, sondern auch das Reich des ästhetisch Schönen in der
Natur um ein Kapitel erweitert. Denn jetzt gehört auch dieses
früher Verachtete thatsächlich dem Naturschönen an. Das heisst,
die Menschen finden dies früher von ihnen gar nicht Beachtete
jedenfalls nicht Dargestellte in der Natur schön, weil sie wissen,
dass die Kunst etwas daraus machen kann, ja sogar schon ge-
macht hat. Und das ist gerade der geheimnisvolle Zauber der
Kunst. Sie bietet uns nicht nur ihre eigenen Werte, ihre eigenen
Illusionsreize zum Genuss dar. Sondern wo sie mit ihrer Wünschel-
rute den Boden Natur berührt, da tritt das lautere Gold zu Tage.
Sie ist es, die das scheinbar Gleichgültige interessant, das Hässliche
schön, das Schöne schöner macht. Die ganze Natur, soweit sie
nicht sinnlich genossen oder praktisch geschätzt wird, ist schön
eigentlich nur aus Künstlers Gnaden.
 
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