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So kommt es, dass man auch eine solche Landschaft ästhetisch
geniessen kann, die malerisch ganz undarstellbar ist. Alan übersetzt
sie dann eben nicht in die Malerei, sondern in die Poesie, stellt
sich alles was man sieht, hört, fühlt und riecht, in der Form eines
poetischen Bildes vor. Durch die Wahrnehmung der Natur werden
die lyrischen Formen, die man infolge der Lektüre u. s. w. im
Kopfe hat, in den Blickpunkt des Bewusstseins gerückt. Das Ge-
fühl für die Natur einerseits und für die menschliche Seele anderer-
seits, in der sich diese Natur poetisch spiegelt, erzeugt dann das
bekannte Schaukelspiel des Bewusstseins, auf dem der ästhetische
Genuss beruht.
Ich weiss zwar nicht, wie verbreitet dieses Gefühl ist, glaube
aber, dass es im wesentlichen auf ihm beruht, wenn poetisch em-
pfindende Menschen auch eine mehr oder weniger formlose Natur
ästhetisch geniessen können, was dann meistens in die Worte
gekleidet wird, das sei doch ein poetisches Stückchen Natur
oder diese Landschaft habe doch eine wahrhaft lyrische Stim-
mung. Natürlich hat die Landschaft keine Stimmung, sondern
nur der poetisch gebildete Mensch, der sie mit lyrischem Gefühl
anschaut. Ich glaube nicht, dass ein Mensch, der gar nichts
von Lyrik weiss, die Natur überhaupt in dieser Weise ästhetisch
geniessen kann.
Etwas ähnliches mag es auch in Bezug auf die Musik geben.
Wenigstens ist bekannt, dass musikalisch gebildete Menschen un-
regelmässige Geräusche oder grössere Lautgruppen, die sie hören,
unwillkürlich in rhythmische und melodische Motive umsetzen.
Eine niedrige Form dieser Erscheinung ist es, wenn man die
Melodie eines Gassenhauers nicht loswerden kann und sie ver-
möge einer Zwangsvorstellung bei jeder Rede, jedem Geräusch,
das man wahrnimmt, zu hören glaubt. Eine höhere Form ist die
schon von Leonardo beobachtete, dass man z. B. aus dem Läuten
der Glocken allerlei Melodien heraushört. Wenn man das Rasseln
des Eisenbahnzuges subjektiv rhythmisiert, dem Geräusch der
Dreschflegel, dem Klappern der Mühle eine Melodie unterlegt, so
ist das natürlich nur unter der Voraussetzung möglich, dass schon
vorher im Bewusstsein musikalische Formen vorhanden waren, die
durch die Anschauung eines annähernd ähnlichen nicht musi-
kalischen Geräusches in den Blickpunkt des Bewusstseins gerückt
wurden. Dabei ist es durchaus nicht nötig, dass der Rhythmus
dieser Erinnerungsvorstellungen genau mit dem des natürlichen Ge-
 
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