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A'. 10


Historisch,: Novelle aus dcr Gcgenwart unb Zukunfi, als Fortsetzung bcr furchlbaren Novelle:

„Untergang cincs Herrscherhauscs."

Doch mit dcS GcschickcS Mächten
Zst kcin cw'gcr Bund zu flcchtcn!

AuS dcn hintcrlnffcncn Papicrcn Äasscnfluchö.

Laput k. oder vielmehr IV.

Der einst geliebie Fürst von Kcssen-Hassel hatte sich
aus dcr Umarmung seineS Premiers losgeriffen — Thränen
niegekanntcr Wehmuth perlten in dcm Auge weiland Scincr
königlichen Hoheit : das umflorte Auge folgte der mit ihrem
Opfcr schonungslos sich ciitfcrneiiden Gerecbtigkeit, die dieß-
mal nicht blind war, bis sie sich in den nebelgraucn Schat-

ten der Gcgenwart verlor-da — gerechter oder viel-

mehr ungerechter Hiinmel! — fiel der Blick des Fürstcn auf
die fürstliche Hemdkrausc —

Leergemacht war die Statte —
die Brustnadel war verschwunden! „Alles verloren,
nur die Ehre nicht!" seufzte der verrathene Gebieter
mir seinem langstvcrstorbencn hohen Vetter von Frankreich.
Auch Du, Brutus, Du!

Mit gedachter Brustnadcl, gcneigter Lcser, hatte cs eine
eigene Bewandmiß. Sie war der größte Familien- und
Hausschatz des aliberühmten hochfürstlichen Hauscs von Kes-
sen-Hassel. Zu Ende dcS vorigen Jahrhunderts — so cr-
zahlt man sich heimlich im Lande — kam an einem stürmi-
schen Abende des unfreundlichcn Novembers durch die damals
noch menschenleeren Straßen von Hasiel ein kleines Männchen
aus schwarzem, den Hinrersuß etwas nachziehenden Pferde
an das Schloß der damals rcgicrenden Durchlancht geritteu
und begehrtc von dem wachestehenden Leiblrabanten Einlaß.
Dcr arme Burschc gestand nachher, wic er dem uiischeinbaren
Fremdling gcgcuüber von einem sonderbaren Schauder ge-
packt .worden, der mit dem Kanonensieber jedoch gar kcinc
Aehnlichkeit gehabt; ohnc Macht, ibn aufzuhalrcn, habe er
ihn an sich vorbei in's Schloß gleiten sehen, wobei ihm nur
aufgefallen, daß der Eindringling sorgfältig den linken Fuß,

an dem er wie sein Nößchen zu hinken schien, verborgcn ge-
halten. Von letzterem selbst war nichts mehr zu sehen. Von
jenem Tage an wollten die Hofschranzen, vor Allem aber
die Hosfräulein, Beit- und Geräthweiber in dem hoch-
sürstlich-durchlauchtigsten Aiulitze einen gan; uugewöhnlichen,
wedcr im Characier dcS hohen Herrn, noch in der Familie
überhaupt liegendeu, n a ch d e n k l i ch e n Zug öfters bcmerkt
haben. Ein Tag großcr Cour schien das bcreits besorglich
gewordene Näthsel zu lösen. An ihm erschien nämlich Se.
Durck'laucht, die iu voller Gala waren, mit einem bisher nie-
gesehencn, Allcn gäuzlich unbekannten Appendir — einer
Brustnadel, deren enorm großer Stein in köstlicherFassung
Strahlen warf, welche Las Auge der Hostcute kaum ertragen
konnte. Der tiefrothe Stein zitterte beständig in cinem
fast dämonifchen Leuchten, das bald wie Blutstropfen, bald
wie Thränen erschien. Wer länger hinsehen konnte, dem
wollre es dünkcn, als glänze da driuiien wie im höllischen
Feuer eines ganzen geguälten Volkes Elend und Jammer;
es schimmerte wie fließendes Blut gefallener Brüder, wie
Zähren verkauttcr, vom Mutterherzen und Mutterboden los-
gcrissener Söhne und Geliebtcr. Kein Mensch erinncrte fich,
je eineii solchcn Brillanten gesehen zu habcn; kein Juwelier
wollte ihn kennen; das Volk naunte ihn nur den Blut-
diamanten, u»d brachte seine Eristcnz mit der Erschei-
nung jenes tüstern Herbstabends in Vcrbindung. wclche
gleicksalls keines Sterblichen Auge seitdem mehr in Hassel
erblickt hattc. Wohl abcr bemerkte man bald, wie Seine
Turck'laucht den Stein hoch nnd werth hielten, ihn argwöh-
nisch hüteten, nicht einmal in die Hand des vertrautesten
Kammerdieners oder gar einer der zarten Landeskinder kom-
men ließen, die nicht selten Blick und Gnade des erhabenen
Herren auf sich zogen. Wohl mochte daher das Gerücht
nicht ganz unbcgründct sein, welches besagte, daß bemelde-
ter Stein mit dem Geschicke des hohen Fürstenhauses innig
verschmolzen, und daß dcr Verlust deffelben nicktt allein dcn
Sturz jencs, sondern noch vieler anderer fürstlichen verwandter
Säulen nach sich ziehen würde.

Ter verehrliche Leser wird nun vollkommen im Stande
sein, dcn Schmcrzensausrus des einst gcliebten LandeSvalers
nach der llmarmuug seiucs Premiers zu veistehen, und mit
uus in die heiligcn Tiesen eines zum Tode betrübien Fürsten-
gemüthcs hinabzusteigen.

Luput II.

Arm, verlassen und cinsam, von keinem Comitsipanis-
briese gcleitet und geschützt, weil der von Allen Verlaffene
und Verrathene von keiner Staats- oder auch nur Gemeindc-
behörde (alle haile der unerbittliche Premier im Namen Sr.
kgl. Hoheit selbst und der durchlauchtigstcn Bundcsversamm-
lung mit Zugrundelegung der Wiener Schlußakte und der
hohen Bundescrectttionsvrdnung noch vor seiner Arrestation
suspcndlrk, ansgchoben und haynauen lassen) ein Sittenzeug-
niß und einc vidimirte Bescheinigung nbcr sein früheres
 
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