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GßeümrLev WcrrE. /T^»- ^S.

Erschcincn wöchcntlich einmal. — Man abonnirt bei allen Buch- />/-,. F^»^ PrciS für cincn Bano von 24 Sinmincrn Z fl. rh. obcr l Ntblr

u. Äilnstbanblnngcn, allcn Pvstämtcrn u. ZeitungScrpcditioncn. ^ ' 21 Sgr. Sinzclne Numuicrn kostcn 9 kr. rh. oder 3 Sgr.

WMev Krcs Lev MeLsluNgM LMM LWöwLg; KLhllEV.

Die Tochter der Barrikaden.

Helene stand am Fenster ihres
engen Dachstübchens; ste schaule
gedankcnvoll hinaus in den dunklen
sternenbesäten Nachthimmel, dann
fiel ihr Blick auf das gegenüber-
stehende Hotel, dessen Belctage
von festlichem äkerzenglanze be-
leuchtet war. Musik schmetterte
in den geriiumigen Gemächern,

Helene sah an den Gardinen die
Schattcn im Tanze dahinschwc-
bender Paare. Ein ticfer Seufzer
cntrang stch ihrer Brust. Woran
dackte sie? Beneidete ste dic glück-
lichen Leute drüben mn ihrcs Festes Glanz? Wünschte fle
die junge Braut zu sein, die dcr rcichc Graf heute heimge-
führt? Ach nein, so hoch verstiegen sich ihre Wünsche nicht.
Sie dachte nur an eine gemordete Unschuld.

Bilder vergangener Tage gingen wechselnd an ihrer
Seele vorüber. Sie dachte an die Zeit zurück, wo sie noch
ein harmloses, unschuldiges Kind war, das so voll seliger
Lnst in die Welt schaute, obschon die Aimnth seine erste
Säugamme gewesen. Dann wuchs sie zur Jungfran heran


und ihre Augen wurden gepriesen
als Veilchcnaugen, ibre Wangcn
verglich inan frischen Roscn. Es
warcn schmuckc Herren, die das
thaten, denn die Blume, die in
der Hütke dcr Armuth gewachsen,
lockte die Lust, die in fremden
Gärten zu weidcn gewohnt war.
Helene sank als Opfcr dicser bcu-
tegierigen Lust. Jhre Multer ward

alt und krank, die Sorge lastcte

bergeschwer anf dcn armen Men-

scken, und die Tochter gab dcr
Verführung Gchör, die vcrlockend
an ste herantrat. So ward sie die Beute dcs Grafen, der

heute seine Vermähluiig feicrte. Und doch war ihr auch die

edlere Liebe nicht frcmd. Ein junger Handwerker hatte sie
kennen gelernt und liebte ste. Sie erwiederte seine Leiden-
schakt mit aller Hingebung. Wie glücklich hätte sie sein

könncn in diescr Liebe, wenn nicht-. Sie biß sich

die Lippen fast blutig, ihre Augen blitztcn zornig und ste
flüstcrte: „Mögen sich dic Küsse Dciner stolzen Braut in
Skorpionenstiche verwandeln! Ohne Dich wär' ich .noch rcin


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