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aber nicht mit dcm Scherze im verschlossenen Ranme;
man wolitc einen öffentlichen Aufzng machen. Hecker, Struve
und Schlvffel umfaßten sich briiderlich und verlicßen, von
einigen lustigen Gefellen gefolgt, die blutrothe Feder. Die
drei änßerst komischen Gesellen und ihr lallendcr Gesang des
Heckerlicdes vcrfehltcn nicht, das Gefolge alsbald zu vcr-
größern. Die Straßenjugeud und cinige andere Müßiggänger
hatten sich im Nu eingefiindcn und bildeten einen Schwcif
hinter den berühmten Volksmännern, der jubelnd und fln-
gend mit ihnen die Straßen durchzog.

Dcn chrlichen, ängstlichcn Spießbürgcrn lcuchtete sofort
ein, daß daS nur cine Fortsetzung der Frankfurter Revolu-
tion sein konnte, mit dcr dic Plitzcnplotzcr viellcicht gar in
gehcimem Napport standen. Die Anarilu'e stand drohend vor
dcr Thüre, es war Zeit, daß die Gesittung sich aufraffte
und Einhalt that. Bald rassclte dcr Gcncralmarsch durch
die Straßcn und nach einer halben Stundc war etwa die
Hälfte der Bürgerwchr auf dem Markte versammelt. Man
stellte sich in Neihen; dcr Kvnimandant kommandirte: Ach-
tiing, richt cuch! zog den Säbel und ricf mit der Miene
eines Feldherrn: Mnth, Bürger! Wir wcrden stegen! und
todtverachtend, mit gefälltem Bajonnct ging es dcn Aufrüh-
rcrn entgegen, die sich cben in einer Scitengasse zeigtcn.
Dcr Strom dcr gaffenden. lachcndcn Menge zerstob sofort,
Hecker, Struve und Schlöffel standcn verlasscn, wurden um-
ringt, gcbunden und unter starker Bedeckung in die Frohn-
festc gebracht. Noch aber glaubte man nicht an cincn voll-
ständigen Sicg. Man crwartete mindestens noch Barrikaden
und Höllenmaschinen und beschloß unter den Waffen zu
bleiben. Auf dem Markte ward ein Bivouacfeuer angezündet,
dic Thore der Stadt wurden besetzt, starke Patrouillen
zogen klirrend durch die Straßen und ein Polizeibcfehl
gebot die Räuniung dcr Schenken. Plitzcnplotz sah sich wie
durch Zauber in Belagcrungszustand versetzt.

Wunderbarer Wcise verfloß dieNacht im tiefsten Frieden.
Die Bürgerwehr dürstete uach ihrer ersten Heldcnthat nach
neucn Siegcn; abcr cs regte sich keine Maus, nur einen
Nachtwächtcr arretirte man aus Mißverständniß. Tie Wacht-
Feuer auf dcmMarktc warcn abgebrannt, als dcrTag anbrach;
die Bürgerwchimänncr zeiglen trübselige, übcrnächtige Ge-
fichtcr; dcr Siegesrausch war schucll verflogen, der Katzen-
Janmier blieb. Man begann, stch zu schämen und sich
murrend zu fragen, wo denn eigcntlich die Nebellion ge-
wezen sei? Die immer Trostrcichen trösteten sich mit dem
Gedanken: rvas nickt war, hätte ohne uns doch wcrden
köniien. So haben die Wühler und Communistcii doch
Respekt bckonimen. Nachdem man noch dcn halbcn Vör-
mittag untcr den Waffcn ausgeharrt, dachtc man endlich

an's Heimgeh'n. Mit Zurücklassung starker Posten zog der
Hauptkörper der Mannschaft unter klingendcm Spiel ab —
vor das Schloß, um dcm Fürsten ein Hurrah zu bringen.
Sereniffimus, welche die Nacht cbenfalls schlaflos zugebracht,
erschienen auf dem Balkon und hieltcn eine kurze Ansprache
an die Bürgerwehr. „Meine Herren", so ungefähr lautete
dieselbc: „Sie haben gezeigt, daß Sie die wahre Freiheit
wollen. Auch ich will sie. Lassen Sie uns denn Hand in
Hand gehen und der Mit- und Nachwelt ein scbönes Bei-
spiel geben von der unerschütterlichen Eintracht zwizchen
Fürst und Volk!" Screnissimus warcn ein nicht unwürdiger
Schülcr des großen Nedners in Potsdam.

Herr Wehdendors, der Minister und Volksvertreter, kam
einigc Tage darauf mit etwas veränderten Ansichten zurück.
Dic Septembcrrevolte hatte ibn überzeugt, daß das Volk
für durchgrcifende Reformen noch nicht reif sci, und mit cincm
Satze war er von dem linken auf das rechte Centrum übcr-
gesprungen. Eine Proklamation, die er nach seiner Nück-
kehr an die Plitzenplotzer crließ, enthielt eine scharfe Polemik
gcgen die „Nmsturzpartei", sprach fich tadelnd aus gegen
die vorgefallenen Erzesse, dcn „guten" Bürgern versichcrnd,
daß die Regierung fortfahren wcrde, die Staatsverhältnisse
im Sinne dcr vernünftigen Freiheit besonnen und ruhig
umzugestalten. Ueberstürzen laffe sich nichts; was lebens-
kräftig werden solle, müsse Zeit zur Reife haben; abtrotzen
lasse sich die Negierung ebenfalls nichts; etwaigen Unge-
bührlichkeitcn werde man energisch zu begcgnen wissen.
Die Ccntralgcwalt habe zu diesem Vehufe die Aufstcllung
von Reichs-Truppen angeordnet.

Dicse Sprache des Volksministers war verständlich genug.
Die Aristokratie sprach schon mit viel wenigcr Nascnrümpfcn
von ihm; die liberale Bourgcoisie nannte ihn den Retter
des Staats, die Freunde des entschiedenen Fortschritt's be-
klagtcn den Vcrlust des talentvollen Manncs.

Die Wahlen für den Landtag rücktcn unterdessen heran.
Die radicale Partei stellte ein Wahlprogramm auf, in welches
die Hauptpuiikte jencr Adresse, dic Wehdendorf's staaismän-
nische Laufbahn begründet, aufgcnommen wurden, während
die Regierungspartci cine Ansprache ausgehen ließ, worin
sie darzuthun suchte, daß inan Männer wählen möchtc, die
cs nicht durch „starrc Opposition" der Regierung unmöglich
machten, ihre frcisinnigen Pläne diiichzuführen. Gleich darauf
crschien ein Regieruiigsorgan, das im salbungsvollen Kan-
zeltone diese Grundsätze bis zum Abgeschniackten predigte.
Die Wahlen ficleu dcr Mehrzahl nach trvtzdem in radicalem
Sinne aus.

Als dcr Plitzcnplotzcr Landtag eröffnct wurde, hatte dic
 
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