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Lübke, Wilhelm
Grundriss der Kunstgeschichte — Stuttgart, 1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.2899#0071
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Kapitel IV. Ae^ypten. 1. Land und Volk. 51

ganzen Laufe durch Aegypten, also durch ein Land von der Längenaus-
dehnung Grossbritanniens, keinen einzigen, seihst nicht den Kleinsten
Nebenfluss aufnimmt, so wiesen auch die alten Aegypter jede Vermischung
mit fremden Elementen in stolzer Zurückhaltung ah. So lag das Land wie
eine langgestreckte Oase, umschirmt von seinen Felsenwällen, rings um-
geben vom Sandmeere der Wüste da; so ragte das Volk, wie eine Kultnr-
oase aus dem Umkreise minder entwickelter, minder gesitteter Stämme in
blühender Kraft empor.

Die Staatsform, in welcher das ägyptische Lohen mit wunderbarer
Beharrlichkeit Jahrtausende hindurch sich versteinerte, war die dem ganzen
Orient gemeinsame, der Despotismus. Aber die den Aegyptern eigene
strenge, nüchtern verständige Sinnesriehtung bewahrte ihr Leben vor dem
üppig schwelgerischen Charakter der asiatischen Despotien und lenkte ihren
Geist mehr auf nützliches, thatkräftiges Schaffen. Allerdings regierten
die Pharaonen mit unumschränkter Macht, und so hoch standen sie über
dem gesammten Volke, selbst über den beiden bevorzugten Kasten der
Priester und Krieger erhaben, dass sie sogar göttlicher Verehrung theil-
haftig, mit den Göttern des Landes identificirt wurden. Indess gab es
ein äusserst complicirtes Gewebe gesetzlicher und ceremoniöser Bestim-
mungen, welche die Herrschergewalt umspannten und von derselben respektirt
werden mussten. Neben ihnen genoss indess die Priesterkaste eines bedeu-
tenden Einflusses. Sie war die Bewahrerin der Wissenschaften, besonders
der geometrischen und astronomischen Kenntnisse, welche sie mit dem
Schleier des Geheimnissvollen zu umgeben verstand; sie war die Verwal-
terin und Hüterin der Tempel, die Pflegerin des Kultus und der religiösen
Anschauungen.

Was letztere betrifft, so wurzelten sie in einem polytheistischen System,
dessen Gestalten meistentheils nur Symbole für die Ereignisse und Ver-
hältnisse der besondern Natur des Landes waren. Lag dieser Betrachtungs-
weise etwas Abstraktes zu Grunde, so verband dieselbe sich doch in merk-
würdiger Art mit ziemlich roh sinnlicher Auffassung. Daher kam es, dass
man die Götter zwar in Menschengestalt bildete, mit Beziehung auf die
göttlich erachteten Pharaonen, aber den oberen, edleren Theilen, besonders
dem Kopf eine bestimmte, bei- den einzelnen Göttern verschiedene thierische
Form gab, ja dass man selbst den meisten Thieren, sowohl nützlichen als
schädlichen, göttliche Verehrung erzeigte und sie nach dem Tode gleich
den Menschen ernbalsamirte. Auch diese Sitte hing eng mit den religiösen
Vorstellungen der Aegypter zusammen. Sie glaubten, wenn auch in mehr
sinnlicher als geistiger Weise, an eine Fortdauer nach dem Tode und
hielten sich für ewig Lebende. Daher die ausserordentliche Sorgfalt für
die Todten, der ausgebildete Gräberkultus, der die Stätten der Abgeschie-
denen wichtiger nnd feierlicher behandelte, als die nur dem ephemeren
 
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