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(536 Viertes Buch. Die Kunst der neueren Zeit.

lachende Leben hinein, erlöst sie vom strengen Banne des Goldgrundes,
und breitet die Herrlichkeit der ganzen Natur im prangenden Schimmer
■des Frühlings um sie aus. Dies Alles erfasst er mit einer Tiefe und
Kraft wie die gleichzeitige italienische Kunst es nirgends mit ähnlichem
Erfolge versucht hat, und hält doch dabei in dem unermesslichen Vieler-
lei, das sich seinem Blick erschliesst, durchaus am Wesentlichen fest,
ohne sich ins Kleinliche zu verlieren.

Wenn nach solchen Anfängen die nordische Malerei in ihrer weiteren
Entwicklung gleichwohl nicht- die Höhe der italienischen erreichte, wenn
sie den grossen Sinn eines Hubert van Eyck einbüsste und in manchen
Beziehungen eher rückwärts als vorwärts schritt, so sind die Gründe dafür
sehr verschiedenartig. Zunächst war es von durchgreifendem Einfluss, dass
die Malerei im Norden seit lange schon die Wandflächeh verloren hatte,
auf denen sie ihre grösseren Gedankencyklen hätte ausbreiten, sich in der
zusammenhängenden historischen Compositionsweise üben können. Die ein-
seitige Entwicklung der Gothik ist es vor allen Dingen, welche der Ma-
lerei im Norden jede Möglichkeit einer monumentalen Entfaltung abge-
schnitten, ihr .die Lebensadern unterbunden hat. Dadurch sahen die
Künstler sich auf die Miniatur- und Tafelmalerei beschränkt, büssten also
mehr und mehr die Gelegenheit ein, ihre Gestalten lebensgross anzulegen
und in ganzer Fülle der Existenz durchzubilden. Ja, die überwiegende
Lust an den Holzschnitzdarstellungen in den Altären, die wir kennen ge-
lernt haben, beschränkte auch auf diesem schmalen Terrain noch die Wirk-
samkeit der Malerei und verwies sie meist auf Ausschmückung der Flügel
oder gar bloss der Aussenseiten. So kommt es denn, dass in der Eegel
an solchen Altarwerken die Schnitzereien höheren Kunstwerth haben als
die Gemälde.

Nun konnte zwar auf den kleinen Tafeln die Kunst sich ins Zier-
liche, Feine entfalten, konnte sich den unerschöpflichen Beizen des Natur-
lebens mit hingebender Liebe widmen, den alten germanischen Natursinn
an Bäumen und Pflanzen, Kräutern, Blumen und Grashalmen sich herz-
lichst erquicken lassen, auch selbst in der Darstellung des Menschen den
Hauptaccent auf Innigkeit des Ausdrucks, auf das Seelenvolle, Gemüth-
liche legen. In allen diesen Beziehungen hat die nordische Malerei ihre
unzweifelhaften Vorzilge. ■ Aber sie schmälerte dieselben dadurch, dass ihr
der Sinn für das Ganze, Grosse, Wesentliche verloren ging, dass sie sich
bei Schilderung zufälligster Einzelheiten tief ins eigentlich Naturalistische
verirrte, und häufig fast in Schnörkelei und allerlei Wunderlichkeit aus-
artete. Den Gestalten fehlt das volle LebensgefüM, und während die
Köpfe in feinster Vollendung den Ausdruck eines Gemüthslebens haben,
das durchaus auf der schärfsten Ausprägung des individuellen Charakters
beruht, vermögen die unvollkommen gezeichneten Körper mit ihren eckigen
 
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