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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.26748#0233

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Erstes Kapitel. Altchristliche Baukunst.

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System von Gängen in den weichen schwärzlichen Tufstein, der sich in den
meisten Gegenden unter den Hügeln Roms und der Campagna erstreckt.

Meistens nur in einer Breite von zwei bis drei Fuss angelegt, so eng und
niedrig, dass man oft nur mit Mühe hindurchschlüpft, ziehen sich diese
dunklen Stollen, gelegentlich in zwei bis drei Stockwerken über einander,
meilenweit auf- und absteigend in der Erde hin, wie in einem Bergwerk. Auf
beiden Seiten sind die Wände regelmässig zu schmalen, länglichen Oeffnungen
erweitert, welche eben im Stande waren eine Leiche aufzunehmen. Diese
Gräber wurden dann von vorn mit Marmorplatten geschlossen, welche den
Namen des Verstorbenen sammt frommen Anrufungen oder Gebeten enthalten.
Bisweilen erweitern sich die engen Räume zu kleinen Kapellen, in welchen die
Gräber der Bischöfe oder Märtyrer, auch wohl Familiengrüfte angebracht
sind. Das Märtyrergrab wird durch einen dasselbe umrahmenden Triumph-
bogen bezeichnet. Geringe, bescheidene Wandmalereien pflegen solche Räume
wohl zu schmücken, auch Spuren von Altären finden sich. Man erkennt
daraus, dass nicht bloss an den Gedächtnisstagen der Verstorbenen, sondern
zu den Zeiten der Verfolgung wohl auch in längerer Uebung hier Gottesdienst
gehalten wurde. Von den vierzig im Alterthum gebrauchten Katakomben sind
nur einige zwanzig bekannt. Die bedeutendsten unter ihnen sind die von
S. Calisto, S. Agnese, S. Nereo ed Acliilleo und S. Alessandro. Auch
zu Neapel sieht man ähnliche Katakomben.

So wenig hier bereits von einer selbständigen Architektur die Rede sein Kirchenbau.
kann, so ging doch der Gebrauch, über den Gräbern der Märtyrer das Opfer
zu feiern, in den Kirchenbau über, indem man den Altar entweder über einem
Märtyrergrabe errichtete oder Reliquien in ihm niederlegte. Als nämlich
durch Constantin das Christenthum die staatliche Anerkennung erhalten hatte
und dadurch zu einer ganz anderen Weltstellung gekommen .war, richtete sich
sofort die Thätigkeit auf Anlage angemessener Gebäude für den gemeinsamen
Gottesdienst. Wie nun die ganze Kunsttechnik dieser Zeit noch auf antiker,
wenn aucji verkommener Ueberlieferung beruhte, so knüpfte man mit der
Form des christlichen Gotteshauses auch an ein heidnisches Vorbild an. Dass
der antike Tempel als solches nicht dienen konnte, lag in der Natur der
Sache begründet. War er doch nur die enge Cella, welche den körperlich als
anwesend gedachten, im Bilde dargestellten Gott und dessen Schätze und
Weihgeschenke umschloss, während es bei dem christlichen Tempel darauf
ankam, ein geräumiges, lichtes Gebäude zu schaffen, das die zur heiligen
Opferfeier versammelte Gemeinde aufnehme.

Auf die Gestaltung des christlichen Gotteshauses scheinen aber ver- Aitcimst-
schiedene Einflüsse gewirkt zu haben. Früher nahm man meistens an, dass
die antike Markt- und Gerichtsbasilika ohne Weiteres, mit gewissen Umge-
staltungen, zur christlichen Basilika eingerichtet worden sei. Diese
Ansicht lässt sich durch Nichts beweisen; wohl aber werden jene antiken
Basiliken für die grossartigere Ausbildung des christlichen Gotteshauses man-
chen Anhaltspunkt geboten haben. Ursprünglich scheint allerdings wie Wein-
gärtner hervorhebt, die christliche Basilika ihre Grundform jenen Sälen
(Oeci) des antiken Privathauses entnommen zu haben, in welchen die frühe-
sten Versammlungen der Gemeinden stattfanden. Da Vitruv eine bestimmte
Form des Oecus, die ägyptische, den Basiliken sehr ähnlich findet, so sieht
man, dass in der Tliat grössere Versammlungssäle bei den Alten, mochten sie
den verschiedensten Zwecken dienen, in der Anlage meistens Verwandtschaft

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