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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.26748#0255

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Zweites Kapitel. Byzantinische Baukunst.

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einander verbunden waren. Ueber diesen erhob sich die Wölbung der Kuppel.
Meistens stieg sie von einem oberhalb der grossen Gurtbögen liegenden Ge-
simskranze auf, indem die zwischen diesem und den Bögen sich bildenden
Felder durch Zwickel (Pendentivs), d. h. Gewölbfelder, die innerhalb eines
sphärischen Dreiecks beschrieben sind, ausgefüllt wurden. Ringsum schlossen
sich niedrige Seitenräume an, durch Säulenstellungen, die als Füllung in jene
Hauptbögen eingelassen waren, mit dem Mittelraume in Verbindung gesetzt.
Im Anfänge scheint man für das Ganze die achteckige Grundform festgehalten
zu haben. Das räumlich Beschränkende derselben führte jedoch später zu
einer ungefähr quadratischen Anlage, welche man nach der Länge und der
Breite durch erhöhte Mittelräume durchschnitt, in deren Kreuzung sich sodann
die Hauptkuppel erhob. Hierdurch wurde aus der viereckigen Grundform ein
Kreuz mit vier gleich langen Schenkeln, das sogenannte griechische, im Ge-
gensätze zu dem lateinischen, dessen Hauptstamm verlängert ist, herausge-
hoben. Bei dieser complicirteren Form schlossen der mittleren Kuppel sich
mächtige Halbkuppeln oder ganze Nebenkuppeln an. Für den Altarraum be-
hielt man die grosse Halbkreisnische bei, ordnete aber gewöhnlich, durch
rituale Bedürfnisse veranlasst, in den Seitenräumen kleinere Altarnischen an,
die jedoch meistens nach aussen nicht hervortreten, da sie aus den dicken
Mauern ausgespart waren. Die im Orient übliche strenge Sonderung der Ge-
schlechter führte sodann die Anlage von Emporen über den niedrigen Seiten-
räumen herbei, welche gleich diesen durch Säulenstellungen sich gegen den
Mittelraum öffneten. Endlich schloss sich an den westlichen Theil eine Vor-
halle, welche, meistens mit kleineren Kuppeln überdeckt, die Aufgänge zu den
Emporen und die Eingänge zu den unteren Räumen enthielt.

Auf diese Weise war ein Inneres geschaffen, welches bei aller Mannich-
faltigkeit der Theile und der Gruppirung den Eindruck einer imposanten Ein-
heit gewährte. Freilich bezog sich das Ganze nicht, wie bei der Basilika der
Längenrichtung entsprechend, auf einen Schlusspunkt, sondern in concen-
trischer Weise auf einen mittleren Raum, der obendrein durch den Kranz der
auf dem Krönungsgesims der Kuppel angebrachten Fenster ein verstärktes
Licht erhielt und dadurch der Apsis ein noch schärferes Gegengewicht in der
perspectivischen Erscheinung bereitete. Es war eine complicirte, künstliche
Einheit der schlichten, natürlichen der Basilika gegenüber. Aber der Aufwand
von wissenschaftlicher Erkenntniss, praktischer Erfahrung und technischen
Mitteln war bei den Byzantinern ein ungleich grösserer, und diese Erfindung
ist darum eine so wichtige, bedeutungsschwere, weil sie zuerst ein künstlich
complicirtes System der Architektur in die Welt gebracht hat. Denn der
Kuppelbau war zwar auch bei den Römern schon in grossartigen Dimensionen
angewandt worden. Allein wenn man ein Gebäude, wie das Pantheon, mit
den byzantinischen Hauptkirchen vergleicht, so springt der grosse constructive
Fortschritt sogleich in die Augen. Dort ruhte die Kuppel auf einer ringsum
aufgeführten Mauer von mächtiger Dicke, die auf allen Punkten ein ange-
messenes Widerlager bot. Hier dagegen ist der ungeheure Schub der Kuppel
auf wenige Punkte — vier oder acht Pfeiler — geleitet und erhält durch ange-
lehnte Neben- oder Halbkuppeln ein künstlich berechnetes Gegengewicht.

Auch in der Ausbildung des Details kamen neue Principien zur Geltung.
Im Anfänge schloss man sich zwar ebenfalls den überlieferten Formen der an-
tiken Kunst an, jedoch in einer von den römischen Arbeiten wesentlich ver-
schiedenen Weise. Die in Byzanz gefertigten korinthischen Kapitale aus jener

Centrale

Anlage.

Detail-

formen.
 
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