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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.26748#0271

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Drittes Kapitel, Altchristliclre Baukunst bei den Germanen.

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mächtigen Zeugnissen antik-römischer Cultur und den ersten Leistungen alt-
christlicher Kunst angefüllt waren. Da sie in ihren Wäldern nur einen rohen
Bedürfnissbau geübt hatten, so brachten sie kein neues architektonisches Ele-
ment, wohl aber jugendliche Empfänglichkeit und vollkräftige Naturfrische
mit. Sie verhielten sich daher den vorhandenen Schöpfungen gegenüber naiv
aufnehmend und nachahmend. Aber gerade aus diesem jungfräulichen Boden
des germanischen Volksgeistes sollte die Saat antiker Ueberlieferungen zu
neuer, nie geahnter Herrlichkeit auf keimen. Werden wir diesen Entwick-

lungsprozess in seinen einzelnen Stadien später zu verfolgen haben, so können
wir hier einstweilen nur von den stammelnden Versuchen, in fremder Kunst-
sprache zu reden, berichten. So wenig wir auch Eigenthümliches, Neues finden,
so hat doch andererseits die Energie, der rege Eifer, mit welchem die kindlich
unentwickelten Völker sich einer durch ihre Pracht und Grösse überwältigenden
Bildung hingeben, der unverdrossene Muth, mit welchem sie ihre ersten Schritte
auf der Bahn höherer Cultur wagen, etwas Fesselndes.

Dass bei der Rohheit jener Naturvölker die Berührung mit den Resten Mangel an
einer abgelebten Cultur zuerst keine erfreuliche Mischung liervorzufen ver- Cl,ltlir-
mochte, war natürlich. Die angeborene, durch die langen Kämpfe gesteigerte
Wildheit des Sinnes entsprach wenig den ausgebildeten Formen römischer
Sitte, Gesetze und Einrichtungen. Gleichwohl waren sie dem im Gährungs-
prozess seiner ersten Entwicklung befangenen nationalen Geiste die einzigen
Vorbilder eines geordneten staatlichen und gesellschaftichen Daseins. Dazu
kam aber noch bei den in Italien eingedrungenen Völkerschaften das Berau-
schende einer üppig südlichen Natur, welches auf die ungebildeten Gemüther
einen sinnbethörenden, vielfach verderblichen Einfluss übte. So ist es denn
kein Wunder, dass das Christenthum nur in seiner äusserlichsten Form ange-
nommen wurde, und dass das wilde, zügellose Leben in schneidendem Con-
traste gegen das religiöse Bekenntniss stand. Aehnlich verhielt es sich denn
auch mit den Aeusserungen der künstlerischen Thätigkeit, so dass die unge-
füge Art der Ausführung oft einen auffallenden Gegensatz zu den aus antiken
Gebäuden geraubten Prachtstücken, den Säulen mit ihren Kapitalen und den
Ornamenten, bildet.

Die Ostgothen waren die ersten, welche vermöge ihrer Bildungsfähig- üstgothen.
keit auf italienischem Boden eine Aneignung antiker Formen im Leben wie in
der Kunst mit einem gewissen Erfolge versuchten. Besonders unter Theo-
derich’s Herrschaft wird eine rege Bauthätigkeit bemerkbar. Was von seinen
Werken noch vorhanden ist, ahmt durchaus den Charakter spät-römischer
Architektur nach. So findet man an seinem Palaste zu Ravenna*), vonpaiastTheo-
dem ein geringer Theil sich in der Vordeiüapade des Franziskanerklosters er- derich’s-
halten hat, die Anordnung von Halbsäulen mit aufruhenden Blendbögen, wie
am Palaste Diocletian’s zu Spalato; nur sind die Einzelformen bereits roher,
entarteter. Bedeutender für die Erkenntniss des Geistes seiner Bauunterneh-
mungen ist sein Grabmal ebendaselbst, die heutige Kirche S. Maria della Grabmal.
Rotonda**). Im Gegensätze gegen seine anderen Bauten, die nach dem Vor-
bilde der römischen Prachtwerke sehr reich ausgeschmückt und mit Mosaiken
bedeckt waren, erhebt sich dieses Denkmal in beabsichtigter Einfachheit, einen
würdigen Eindruck gewährend. Auf einem zehnseitigen Unterbau, welcher von

*) v. Quast, Ravenna. T. VII.

**) Ebendaselbst.
 
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