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Fünftes Buch.
Fischblase, ein flammenförmiger, rundlich geschwungener Pass, der bereits
die Gesetze geometrischer Bildung aufgelöst zeigt. Fig. 377 gibt ein Beispiel
von einem mit solchen Fischblasen verzierten Fenster, Fig. 378 ein anderes,
minder glücklich componirtes. Bei beiden Formen macht sich schon darin
ein Abweichen von der Strenge gothischer Bildungsweise bemerklieh, dass
hier die verticale Gruppenbildung in der unteren Bogenreihe schon ein Ende
erreicht, und die obere Hauptabtheilung mehr nach einem centralen Gesetz
entwickelt ist, worin sich gewissermassen eine — wenngleich stark modificirte
— Rückkehr zu der Gestaltungsweise der Radfenster ankündigt.
Glas- Die Fenster waren ganz aus farbigen Glasstücken zusammengesetzt, welche
genmide. zu ornamentistischen bunten Mustern, theils zu figürlichen Darstellungen
sich verbanden. Diese Glasgemälde, die auch der romanische Styl schon kannte,
stellen grosse Teppiche dar, die dem kalten, scharfen Tageslichte den Ein-
gang wehrten und das Innere mit einem farbigen Licht übergossen. Kleine, mit
starkem Blei eingefasste Scheiben bildeten mosaikartig die Zeichnung, die immer
in einer gewissen typischen Allgemeinheit gehalten war, wie sie für den Ort
sich schickte. Bei der Zusammenstellung der Farben gilt das gleiche Gesetz
rhythmischen Wechsels, welches schon der Polyehromie des romanischen
Styles (vgl. S. 337) zu Grunde lag.
Ausbüdung Wir haben nun die wesentlichen Eigentümlichkeiten der Grün driss-
derissesmd" Bildung weiter zu verfolgen, (vgl. Fig. 380) Eine der entscheidendsten Neue-
rungen des gothisclien Styls war die Umgestaltung der Altarnische. Im romani-
schen Bau war diese nur äusserlich dem Chor vorgelegt, häufig mit ihm
Choraniage. durch eine Krypta über den Boden erhöht. Die Gotliik beseitigte die schon
in der letzten romanischen Epoche in Abnahme gekommene Krypta vollends,
liess den Chor sich blos mit einigen, etwa drei Stufen, über das Langhaus er-
heben, und schloss ihn wie früher durch einen Lettner (eine steinerne Brüstung)
von letzterem ab. Ferner bewirkte die consequente Durchführung des Strebe-
systems, dass die Nische einem polygonen Abschluss weichen musste, der in
ganzer Höhe mit den übrigen Haupttheilen aufstieg und von einem mehrtliei-
ligen Rippengewölbe überdeckt wurde. Dieser Chorschluss ist mit seltenen
Ausnahmen durch ungerade Seitenzahl gebildet, entweder aus dem Achteck,
dem Zwölfeck, auch wohl aus dem Zehneck genommen. Durch diese Anordnung
trat der Chor in innigen organischen Verband mit dem Langhause und gab
demselben zugleich einen lebensvollen Abschluss. Um aber diesen Haupttheil
reicher auszubilden, führte man die jenseits des Querhauses verlängerten Seiten-
schiffe als Umgang um denselben herum und trennte diesen von dem Mittel-
raume durch steinerne Schranken. Den Aufbau dieser Theile gestaltete man
genau nach dem im Langhause herrschenden System, indem man den Ober-
bau auf Bündelpfeilern ruhen liess und seine Wände mit Triforien und darüber
mit Fenstern durchbrach.
Kapellen- Noch reicher indess gestaltete sich bei den grossen Kathedralen dieChor-
kranz' anlage durch eine Reihe niedriger Kapellen, welche wie ein Kranz die Chor-
umgänge umziehen. Wir fanden eine ähnliche Anordnung schon in romani-
schen Bauten des mittleren Frankreich, nur verfuhr auch hierin der gothische
Styl umgestaltend, indem er aus den halbrunden Nischen polygone Kapellen
machte, die in lebendig organischer Weise dem Uebrigen sich anschliessen.
So klingt die polygone Form des Mittelbaues mit kräftiger Bewegung in eine
Langhaus. Anzahl kleinerer verwandter Figuren aus. Dieser centralisirenden Anlage
des Chores, die ein acht französicher Gedanke ist, und die man als den ersten
Fünftes Buch.
Fischblase, ein flammenförmiger, rundlich geschwungener Pass, der bereits
die Gesetze geometrischer Bildung aufgelöst zeigt. Fig. 377 gibt ein Beispiel
von einem mit solchen Fischblasen verzierten Fenster, Fig. 378 ein anderes,
minder glücklich componirtes. Bei beiden Formen macht sich schon darin
ein Abweichen von der Strenge gothischer Bildungsweise bemerklieh, dass
hier die verticale Gruppenbildung in der unteren Bogenreihe schon ein Ende
erreicht, und die obere Hauptabtheilung mehr nach einem centralen Gesetz
entwickelt ist, worin sich gewissermassen eine — wenngleich stark modificirte
— Rückkehr zu der Gestaltungsweise der Radfenster ankündigt.
Glas- Die Fenster waren ganz aus farbigen Glasstücken zusammengesetzt, welche
genmide. zu ornamentistischen bunten Mustern, theils zu figürlichen Darstellungen
sich verbanden. Diese Glasgemälde, die auch der romanische Styl schon kannte,
stellen grosse Teppiche dar, die dem kalten, scharfen Tageslichte den Ein-
gang wehrten und das Innere mit einem farbigen Licht übergossen. Kleine, mit
starkem Blei eingefasste Scheiben bildeten mosaikartig die Zeichnung, die immer
in einer gewissen typischen Allgemeinheit gehalten war, wie sie für den Ort
sich schickte. Bei der Zusammenstellung der Farben gilt das gleiche Gesetz
rhythmischen Wechsels, welches schon der Polyehromie des romanischen
Styles (vgl. S. 337) zu Grunde lag.
Ausbüdung Wir haben nun die wesentlichen Eigentümlichkeiten der Grün driss-
derissesmd" Bildung weiter zu verfolgen, (vgl. Fig. 380) Eine der entscheidendsten Neue-
rungen des gothisclien Styls war die Umgestaltung der Altarnische. Im romani-
schen Bau war diese nur äusserlich dem Chor vorgelegt, häufig mit ihm
Choraniage. durch eine Krypta über den Boden erhöht. Die Gotliik beseitigte die schon
in der letzten romanischen Epoche in Abnahme gekommene Krypta vollends,
liess den Chor sich blos mit einigen, etwa drei Stufen, über das Langhaus er-
heben, und schloss ihn wie früher durch einen Lettner (eine steinerne Brüstung)
von letzterem ab. Ferner bewirkte die consequente Durchführung des Strebe-
systems, dass die Nische einem polygonen Abschluss weichen musste, der in
ganzer Höhe mit den übrigen Haupttheilen aufstieg und von einem mehrtliei-
ligen Rippengewölbe überdeckt wurde. Dieser Chorschluss ist mit seltenen
Ausnahmen durch ungerade Seitenzahl gebildet, entweder aus dem Achteck,
dem Zwölfeck, auch wohl aus dem Zehneck genommen. Durch diese Anordnung
trat der Chor in innigen organischen Verband mit dem Langhause und gab
demselben zugleich einen lebensvollen Abschluss. Um aber diesen Haupttheil
reicher auszubilden, führte man die jenseits des Querhauses verlängerten Seiten-
schiffe als Umgang um denselben herum und trennte diesen von dem Mittel-
raume durch steinerne Schranken. Den Aufbau dieser Theile gestaltete man
genau nach dem im Langhause herrschenden System, indem man den Ober-
bau auf Bündelpfeilern ruhen liess und seine Wände mit Triforien und darüber
mit Fenstern durchbrach.
Kapellen- Noch reicher indess gestaltete sich bei den grossen Kathedralen dieChor-
kranz' anlage durch eine Reihe niedriger Kapellen, welche wie ein Kranz die Chor-
umgänge umziehen. Wir fanden eine ähnliche Anordnung schon in romani-
schen Bauten des mittleren Frankreich, nur verfuhr auch hierin der gothische
Styl umgestaltend, indem er aus den halbrunden Nischen polygone Kapellen
machte, die in lebendig organischer Weise dem Uebrigen sich anschliessen.
So klingt die polygone Form des Mittelbaues mit kräftiger Bewegung in eine
Langhaus. Anzahl kleinerer verwandter Figuren aus. Dieser centralisirenden Anlage
des Chores, die ein acht französicher Gedanke ist, und die man als den ersten