Drittes Kapitel. Gothischer Styl.
553
Zu den beiden kolossalen, auf 500 Fuss Höhe berechneten Thürmen hat man
die alten Baurisse glücklich aufgefunden*). Sie sind einer der höchsten Triumphe
architektonischer Oonception. Fern von dem entschiedenen Horizontalismus
französischer Facaden bauen sie sich von unten in strengster Consequenz aus
einzelnen verticalen Gliedern auf, entfalten ihre aufsteigende Tendenz in immer
lebhafterem, rascherem Pul-
siren, immer leichteren, luf-
tigeren Formen, so dass zu-
letzt die hohen durchbro-
chenen Steinpyramiden den
Sieg über die schwere ir-
dische Masse in stolzer Kühn-
heit himmelan tragen. Gleich-
wohl ist in ihnen das Ver-
ticalprincip schon zu einer
extremen Ausschliesslich-
keit gesteigert, welche nicht
überall eine ganz harmo-
nische Lösung der grossen
Probleme zugelassen hat.
In naher Verwandtschaft
mit dem Dom zu Köln steht
die benachbarte Abtei-
kirche Altenberg**), 1 255 Kirche zu
.. t , -i i , Altenberg.
gegründet und nach zehn
Jahren im Chor, 1379 dagegen erst im Ganzen vollendet. Nur tritt hier eine
den Gesetzen des Cisterzienserordens entsprechende grössere Einfachheit der
Anlage und Ausbildung hervor. So haben die Rundpfeiler keine Dienste, und
dieFensternureineBemalung grau in grau (sogenannte Grisaillen), jedoch von sehr
edlen tepp ich artigen Mustern. — Kölnischen Einfluss zeigt ferner die schöne,
1263 begonnene Collegiatkirche zu Xanten***), fünfschiffig, ohne Querhaus, mit Kirche, zu
ungemein reichem und harmonischem Chorschluss (Fig. 449) und von herr-
licher Perspective. In den Formen dagegen hat man, da noch bis 1525 immer-
fort der Bau währte, mancherlei spätere willkürliche Elemente nicht zu ver-
meiden gewusst.
In edler Freiheit entfaltet sich die gothische Architektur auf’s reizvollste
an der Katharinenkirche zu Oppenheimf) , 1262 begonnen und 1317 Katharinen
vollendet. Hier sind die Pfeiler lebendig gegliedert, die Gewölbrippen treff-
lieh profilirt, die Fenster znm Theil schon mit blos decorativem Maasswerk von
ungemein glänzender Ausbildung versehen. Die Choranlage zeigt eine originelle
Vereinfachung des französischen Systems, wie sie auch in verwandter Weise
in Xanten sich findet. Von höchst malerischer Wirkung sind aber die Kapellen-
reihen am Langhause, welche sich mit Säulchen gegen die Seitenschiffe öffnen
und gleich diesen durch breite, glänzend entwickelte Fenster ein durch Glas-
gemälde harmonisch gedämpftes Licht erhalten. UngewöhnlicherWeise erhebt
sich auf der Vierung ein kräftiger achteckiger Thurm, während zwei noch
Fig. 449.
*) Facsimilirte Stiche derselben sind von Möller herausgegeben. Fol. mit Text in 4. Darmstadt.
**) Aufnahmen bei C. Schimmel: Die Cisterzienserabtei Altenberg. Fol. Münster 1832.
***) C. Schimmel: Westfalens Denkmäler alter Baukunst. Fol. Münster.
t) Vergl. das Prachtwerk: Die St. Katharinenkirche zu Oppenheim, von Fr. II. Müller. gr.Fol.-ß.
Darmstadt 1823. — Ausserdem Aufnahmen in Möller’s Denkmälern.
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Zu den beiden kolossalen, auf 500 Fuss Höhe berechneten Thürmen hat man
die alten Baurisse glücklich aufgefunden*). Sie sind einer der höchsten Triumphe
architektonischer Oonception. Fern von dem entschiedenen Horizontalismus
französischer Facaden bauen sie sich von unten in strengster Consequenz aus
einzelnen verticalen Gliedern auf, entfalten ihre aufsteigende Tendenz in immer
lebhafterem, rascherem Pul-
siren, immer leichteren, luf-
tigeren Formen, so dass zu-
letzt die hohen durchbro-
chenen Steinpyramiden den
Sieg über die schwere ir-
dische Masse in stolzer Kühn-
heit himmelan tragen. Gleich-
wohl ist in ihnen das Ver-
ticalprincip schon zu einer
extremen Ausschliesslich-
keit gesteigert, welche nicht
überall eine ganz harmo-
nische Lösung der grossen
Probleme zugelassen hat.
In naher Verwandtschaft
mit dem Dom zu Köln steht
die benachbarte Abtei-
kirche Altenberg**), 1 255 Kirche zu
.. t , -i i , Altenberg.
gegründet und nach zehn
Jahren im Chor, 1379 dagegen erst im Ganzen vollendet. Nur tritt hier eine
den Gesetzen des Cisterzienserordens entsprechende grössere Einfachheit der
Anlage und Ausbildung hervor. So haben die Rundpfeiler keine Dienste, und
dieFensternureineBemalung grau in grau (sogenannte Grisaillen), jedoch von sehr
edlen tepp ich artigen Mustern. — Kölnischen Einfluss zeigt ferner die schöne,
1263 begonnene Collegiatkirche zu Xanten***), fünfschiffig, ohne Querhaus, mit Kirche, zu
ungemein reichem und harmonischem Chorschluss (Fig. 449) und von herr-
licher Perspective. In den Formen dagegen hat man, da noch bis 1525 immer-
fort der Bau währte, mancherlei spätere willkürliche Elemente nicht zu ver-
meiden gewusst.
In edler Freiheit entfaltet sich die gothische Architektur auf’s reizvollste
an der Katharinenkirche zu Oppenheimf) , 1262 begonnen und 1317 Katharinen
vollendet. Hier sind die Pfeiler lebendig gegliedert, die Gewölbrippen treff-
lieh profilirt, die Fenster znm Theil schon mit blos decorativem Maasswerk von
ungemein glänzender Ausbildung versehen. Die Choranlage zeigt eine originelle
Vereinfachung des französischen Systems, wie sie auch in verwandter Weise
in Xanten sich findet. Von höchst malerischer Wirkung sind aber die Kapellen-
reihen am Langhause, welche sich mit Säulchen gegen die Seitenschiffe öffnen
und gleich diesen durch breite, glänzend entwickelte Fenster ein durch Glas-
gemälde harmonisch gedämpftes Licht erhalten. UngewöhnlicherWeise erhebt
sich auf der Vierung ein kräftiger achteckiger Thurm, während zwei noch
Fig. 449.
*) Facsimilirte Stiche derselben sind von Möller herausgegeben. Fol. mit Text in 4. Darmstadt.
**) Aufnahmen bei C. Schimmel: Die Cisterzienserabtei Altenberg. Fol. Münster 1832.
***) C. Schimmel: Westfalens Denkmäler alter Baukunst. Fol. Münster.
t) Vergl. das Prachtwerk: Die St. Katharinenkirche zu Oppenheim, von Fr. II. Müller. gr.Fol.-ß.
Darmstadt 1823. — Ausserdem Aufnahmen in Möller’s Denkmälern.