Zweites Kapitel. Renaissance in Italien.
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die grossartige Anlage eines Oktogons von etwa 86 Fuss Durchmesser, auf
welches ein dreischiffiges Langhaus mit halbrunden Kapellen und ein ebenso
entwickelter Chor und Querbau münden, wohl ein Gedanke Bramante’s sein.
Vollständig ausgeführt, wäre der Bau die consequente Entwicklung des am
florentiner Dom und an S. Petronio zu Bologna Begonnenen geworden und
würde eine weitere Vorstufe zu S. Peter in Rom bilden. Die Kuppelwölbung
ist aber unausgeführt geblieben; ebenso die Umgestaltung des Centralbaues
zu einem gestreckten lateinischen Kreuze, welches wohl erst später beabsich-
tigt wurde*) **). Die nur im Modell vorhandene Fagade zeigt das Streben, die
mittelalterlichen Motive der durchlaufenden Säulengalerien, der Radfenster und
der Gesammtgliedernng dem neuen Style dienstbar zu machen.
So unterscheidet sich der Kirchen bau Oberitaliens durchgängig vom Kirchenbau
toskanischen ähnlich wie schon im Mittelalter durch die Vorliebe für gewölbte
Anlagen, während in Toskana die flachgedeckte Basilika auch jetzt noch eine
grosse Rolle spielt. Den Centralbau repräsentirt in einfach schöner Weise die
Madonna di Campagna zu Piacenza ein griechisches Kreuz mit acht- zu Piacenza
eckiger Kuppel auf der Durchschneidung und vier
kleineren achteckigen Kuppeln in den Ecken des
Kreuzes, das Ganze noch in bramantesker Anlage,
besonders amAeusseren durch schlichte Backstein -
Architektur mit Pilastern und Bögen, sowie durch
die mit doppelter Galerie umzogene Kuppel von an-
ziehender Wirkung. — Andere Kirchen nehmen
dagegen das Basilikenschema auf und suchen das-
selbe mit der Gewölbanlage zu verbinden. So
S. Sepolcro (Fig. 530), wo das 29 Fuss breite
Mittelschiff abwechselnd von zwei quadratischen
Kreuzgewölben und zwei schmaleren Tonnen-
gewölben auf Pfeilern bedeckt ist, und die halb
so breiten Seitenschiffe von Tonnengewölben und
kleinen Flachkuppeln bedeckt und jeclerseits von
einer Reihe Apsidenkapellen begleitet werden, deren
äussere Zwischenräume durch ein Gewölbe ge-
schlossen werden, so dass sie unter einem einzigen
Dache vereint sind. Der Gedanke solcher Theilung des Langhauses scheint
von Venedig zu stammen, wo jedoch statt der Kreuzgewölbe die Kuppel vor-
herrscht. Ohne Zweifel ist S. Marco der Stamm für alle ähnlichen Ab-
zweigungen. Der Chor hat Tonnengewölbe und Apsis; die Kreuzarme haben
nicht bloss halbkreisförmige Abschlüsse, sondern auch an der Ostseite Ap-
siden. Ein anderes System herrscht in der stattlichen Kirche S. Sisto
(Fig. 531). Hier hat das Mittelschiff nach dem Vorgänge der Madonna di S.
Celso zu Mailand, ein Tonnengewölbe, aber auf Säulen, die noch Spuren mittel-
alterlicher Formgebung zeigen. Daran stossen Seitenschiffe mit Flachkuppeln,
und an diese wieder je ein Kapellenschiff mit Tonnengewölben und Apsiden
nach der Art von S. Sepolcro. Das Querschiff hat wie ebendort östliche Apsiden
und runde Abschlüsse, auf der Vierung eine hohe runde Kuppel, die mit einem
Säulenkranz unmittelbar über den Gurtbögen sich erhebt. Der Cliör ist lang,
Sepolcro zu Piacenza.
Grundriss.
*) Wenn Christoforo Rocchi später „nach verändertem Plane“ den von Bramante timdamentirteu Bau
ausführte, so mag die wesentlichste Veränderung in der Umgestaltung des griechischen Kreuzes von
Bramante zu einem lateinischen Kreuz bestanden haben; später blieb dieses dann doch unausgeführt.
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die grossartige Anlage eines Oktogons von etwa 86 Fuss Durchmesser, auf
welches ein dreischiffiges Langhaus mit halbrunden Kapellen und ein ebenso
entwickelter Chor und Querbau münden, wohl ein Gedanke Bramante’s sein.
Vollständig ausgeführt, wäre der Bau die consequente Entwicklung des am
florentiner Dom und an S. Petronio zu Bologna Begonnenen geworden und
würde eine weitere Vorstufe zu S. Peter in Rom bilden. Die Kuppelwölbung
ist aber unausgeführt geblieben; ebenso die Umgestaltung des Centralbaues
zu einem gestreckten lateinischen Kreuze, welches wohl erst später beabsich-
tigt wurde*) **). Die nur im Modell vorhandene Fagade zeigt das Streben, die
mittelalterlichen Motive der durchlaufenden Säulengalerien, der Radfenster und
der Gesammtgliedernng dem neuen Style dienstbar zu machen.
So unterscheidet sich der Kirchen bau Oberitaliens durchgängig vom Kirchenbau
toskanischen ähnlich wie schon im Mittelalter durch die Vorliebe für gewölbte
Anlagen, während in Toskana die flachgedeckte Basilika auch jetzt noch eine
grosse Rolle spielt. Den Centralbau repräsentirt in einfach schöner Weise die
Madonna di Campagna zu Piacenza ein griechisches Kreuz mit acht- zu Piacenza
eckiger Kuppel auf der Durchschneidung und vier
kleineren achteckigen Kuppeln in den Ecken des
Kreuzes, das Ganze noch in bramantesker Anlage,
besonders amAeusseren durch schlichte Backstein -
Architektur mit Pilastern und Bögen, sowie durch
die mit doppelter Galerie umzogene Kuppel von an-
ziehender Wirkung. — Andere Kirchen nehmen
dagegen das Basilikenschema auf und suchen das-
selbe mit der Gewölbanlage zu verbinden. So
S. Sepolcro (Fig. 530), wo das 29 Fuss breite
Mittelschiff abwechselnd von zwei quadratischen
Kreuzgewölben und zwei schmaleren Tonnen-
gewölben auf Pfeilern bedeckt ist, und die halb
so breiten Seitenschiffe von Tonnengewölben und
kleinen Flachkuppeln bedeckt und jeclerseits von
einer Reihe Apsidenkapellen begleitet werden, deren
äussere Zwischenräume durch ein Gewölbe ge-
schlossen werden, so dass sie unter einem einzigen
Dache vereint sind. Der Gedanke solcher Theilung des Langhauses scheint
von Venedig zu stammen, wo jedoch statt der Kreuzgewölbe die Kuppel vor-
herrscht. Ohne Zweifel ist S. Marco der Stamm für alle ähnlichen Ab-
zweigungen. Der Chor hat Tonnengewölbe und Apsis; die Kreuzarme haben
nicht bloss halbkreisförmige Abschlüsse, sondern auch an der Ostseite Ap-
siden. Ein anderes System herrscht in der stattlichen Kirche S. Sisto
(Fig. 531). Hier hat das Mittelschiff nach dem Vorgänge der Madonna di S.
Celso zu Mailand, ein Tonnengewölbe, aber auf Säulen, die noch Spuren mittel-
alterlicher Formgebung zeigen. Daran stossen Seitenschiffe mit Flachkuppeln,
und an diese wieder je ein Kapellenschiff mit Tonnengewölben und Apsiden
nach der Art von S. Sepolcro. Das Querschiff hat wie ebendort östliche Apsiden
und runde Abschlüsse, auf der Vierung eine hohe runde Kuppel, die mit einem
Säulenkranz unmittelbar über den Gurtbögen sich erhebt. Der Cliör ist lang,
Sepolcro zu Piacenza.
Grundriss.
*) Wenn Christoforo Rocchi später „nach verändertem Plane“ den von Bramante timdamentirteu Bau
ausführte, so mag die wesentlichste Veränderung in der Umgestaltung des griechischen Kreuzes von
Bramante zu einem lateinischen Kreuz bestanden haben; später blieb dieses dann doch unausgeführt.