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EINFÜHRUNG

IN LEBEN UND WERK DES HIERONYMUS BOSCH

Bis in unsere Zeit hinein ist der niederländische Maler Hieronymus Bosch im Kreuzfeuer
kunsthistorischer Kritik. Ein dichter Schleier gewährt nur an wenigen Stellen Einblick in
sein Leben. Seine Werke sind bei einer gewissen formalen Einseitigkeit von einer geradezu
verwirrenden Aussagekraft. Wer war dieser Künstler, der es wagte, seine innerste, mitder
Kirche nicht immer übereinstimmende Glaubenswelt auf Bildern festzuhalten? Flüchtete
sich Bosch mit Absicht in die Ambivalenz der Symbole, in das Zwielicht der Mystifikation?
Eines steht fest: Auch Bosch ist nur aus dem Geist seiner Zeit heraus zu verstehen. Eswar
eine Zeit des Umbruchs, in der die Dämmerung des Mittelalters mit dem Wetterleuchten
einer neuen Ara zusammentraf. Fast im selben Jahr wie der apokalyptische Bußprediger
Savonarola geboren, starb er ein Jahr vor Martin Luthers Thesenanschlag an der Witten-
berger Schloßkirche. Vergangenes und Zukünftiges kreuzen sich in seinem Werk, die Tra-
ditionsgebundenheit der Masse und das schöpferische Aufbegehren des Einzelmenschen.

Schon um 1600 beginnt eine positiv zu wertende Auseinandersetzung mit der KunstBoschs.
So verteidigte zum Beispiel der spanische Hieronymitenpater Jusepe de Siguenzadiekatho-
lische Rechtgläubigkeit des Niederländers; der Zeitgenosse E1 Grecos urteilt treffend: "Mei-
ner Ansicht nach besteht der Unterschied zwischen der Malerei dieses Menschen und der
anderen darin, daß die anderen die Menschen malen, wie sie von außen erscheinen. Er
aber allein ist so kühn, die Menschen als diejenigen zu malen, die sie im Innern sind".
Aber über das, was Bosch wirklich aussagen wollte, wurde noch lange gerätselt, wennman
ihn nicht einfach als "faizeur des diables" abtat, als einen skurrilen Maler mit schranken-
loser Phantasie, dem man jedoch eine minutiöse Malweise und eine scharfe realistische
Sicht nicht absprechen konnte. So gilt Bosch auch heute noch in weiten Kteisen alsSchöp-
fer grotesker Höllenbilder und schauerlicher Mißbildungen von Mensch und Tier. Der
erste ernst zu nehmende Versuch, dem Werk dieses gewiß eigenartigen KUnstlers gerecht
zu werden, findet sich 1898 in einem Aufsatz H. Dollmayrs Uber "Hieronymus Eoschund
die Darstellung der vier letzten Dinge". Aber selbst der große Kenner der niederländischen
Malerei, Max J. Friedländer, vermochte nicht, die bis in seine Zeit geltenden Vorstellun-
gen von Bosch zu überwinden, von dem er schreibt: "In Boschs Phantasie war die Welt un-
erlöst, voll versteckter Teufelei, zugleich ein flüchtiges, närrisches, kaleidoskopartig
wechselndes Spiel, das belustigte und unterhielt. Jenseits und Diesseitsineinandermengend,
gewann er den Bildstoff zu Schaubudensensation, Maskerade und Scharlatanerie". Aneiner
anderen Stelle heißt es: "So träumt ein spitzfindiger Spintisierer, der zugleich ein schar-
fer Naturbeobachter ist" (1).

Die Arbeiten des Charles de Tolnay haben endiich etwas Klarheit über die Entstehungszeit
der einzelnen Werke gebracht, wenn auch die Chronologie noch immer nicht ganz befrie-
digend ist. Das von Ludwig Baldass herausgegebene Werk will vor allem die moralische
 
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