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DIE KÜNSTLERISCHE GESTALTUNG

Die europäische wie auch die ostasiatische Landschaftsmalerei wäre ohne die Darstellung
des Baumes nahezu undenkbar. Der Baum gibt der Landschaft erst ihr eigentliches Geptäge.
Das sichtbarste Zeichen det Vegetation sind die Bäume, gegenübet denen Gtas und Kräu-
tet geting erscheinen. So wurde det Baum immet wieder ein beliebtes Motiv der Maler,
sei es als selbstständiges Bildganzes odet als illustrierendes Atttibut.

Wir haben in einet ftiiheren Arbeit ("Symbol, Myilios und Legende in det Kunst") darauf
hingewiesen, daß sich die großen Zeitalter danach einteilen lassen, ob det Mensch mehr
dem offen vot ihm liegenden Abbild sein Augenmerk schenkte, odet ob et dessen Inneres,
sein Wesen, zu erfassen versuchte. Der die Natur getreu wiedergebenden abbildlichen Kunst
steht die den Rahmen des sinnlich Wahinehmbaren sptengende sinnbildliche Kunst gegen-
iibet. Herbert Kiihn spticht einfach von sensorischei und imaginativer Kunst. "Diese beiden
Begtiffe deuten die Pole an, sie sind die Gegensätzlichkeit, det Ausdtuck fiir zwei vet-
schiedene Formen des Etlebens der Welt in der Sprache det Kunst. Die eine Form, die
sensorische, hat ihten Schwerpunkt in der Wiedetgabe det Wirklichkeit, im Momentanen,
im Plötzlichen, im Vetschwimmenden und Verfließenden. Das Hiet witd gefaßt und das
Jetzt, det Augenblick, das Vorübergehende, das Gleitende. Imaginativ dagegen dtückt
das durch den Geist zutiefst Erschaute aus, das Wesen det Dinge, das sich ausspricht im
Symbol, im Gleichnis. In dieset Kunst liegt die Wiedergabe des Gehaltes det Dinge, des
Inhalts des Seins, die Bezogenheit auf das Ewige, Bleibende, auf die Gtundgestalt, die
Urform. Beide Fotmen entsptechen vetschiedenem Erlebnis des Menschen, beide Fotmen
sind in jedem Menschen als Ich gegeben, sind gleich witksam und lebendig und kehren
daher immet wiedet, und es ist möglich, die gesamte Geschichte der Kunstentwicklung
und damit auch die Entwicklung det Kultur des Menschen übethaupt, als ein Oszillieren
zwischen diesen beiden Polen zu erkennen, zwischen dem Augenblick und dem Wesen-
haften, zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen hyle und eidos, wie Aristoteles es aus-
dtückt, zwischen sarx und pneuma, wie es das Neue Testament bezeichnet" (63). Mlt Ab-
sicht haben wit die abbildliche und die sinnbildliche Darstellungsatt durch einen Kennet
wie Herbert Kühn erkläten lassen. Denn gerade auch für die künstlerische Gestaltung des
Baumes gilt diese Untetscheidung. Nicht jedet Baum datf als "Baum" aufgefaßt wetden. Es
gibt in det Kunst Bäume, die mehr sein sollen als nur die Wiedetgabe eines Teils det Natur.
Nicht nur irgendein Baum, sondetn "det" Baum, das Ding an sich, in dem sich übet alles
Akzidemielle hinaus das wahre Wesen zeigt.

Die ersten künstletischen Versuche des Menschen stammen aus dem Altpaläolithikum. Die
Stteitfrage, ob am Anfang das naturgetteue Abbild oder das geomettisch-stilisietende Ge-
strichel gestanden habe, wird von dem Ptähistotiket Ftiedrich Behn zugunsten des Natura-
lismus beantwortet: "So wie das Jägertum det älteren Steinzeit am Eingang zu allem Kul-
turleben steht, so steht det Naturalismus am Anfange allet Kunst" (64). Mit den meht und
 
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