Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZWEIG, PFAHL UND KREUZ

Die bereits bei den germanischen Sueven in Spanien erwähnte Ausschmückung ihrer Häu-
ser mit grünen Zweigen war auch im mittelalterlichen Deutschland weit verbreitet. Der
Straßburger Sebastian Brant schrieb 1494 in seinem Narrenschiff, daß die Leute zur Zeit
des Jahreswechsels "gryen tann riiz" an ihr Haus stecken. In Ostpreußen wurden früher die
Stuben mit Tannengrün geschmückt. In anderen Teilen Deutschlands verwendete man auch
Zweige von der Stechpalme (Ilex) oder Efeu. In Oberösterreich und im Salzkammergut
waren diese "Wintermaien" lange vor Bekanntwerdendes Christbaumes gebräuchlich. Die
immergrünen, dem Winter tiotzenden Pflanzen sollten den Menschen Segen spenden und
den Tieren Fruchtbarkeit verleihen; deshalb wurden sie nicht nur in der Wohnstube, son-
dern auch an der Stalltüre angebracht. Im Salzkammergut erinnert man sich beim Anbrin-
gen der grünen Zweige der verstorbenen Familienmitglieder (143). Plinius berichtet, daß
die Druiden im Winter die immergrüne Mistel mit goldenen Sicheln von den Eichen ge-
schnitten haben, sie galt als die "Alles Heilende”. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden
in Pommern Misteln in Stall und Haus als apotropäisches Mittel aufgehängt.

Die Vorstellung vom segenspendenden Zweig reicht sehr weit zutück. Hierher gehört das
Motiv: Vogel mit Zweig. Als das Wasser der Sintflut auf der Erde zurückging, ließ Noah
eine Taube fliegen. Als sie das zweite Mal zurückkam, hatte sie einen Ölzweig in ihtem
Schnabel (Gen. 8, 11). In einem Kurgan zu Maikop in Kaukasien wurde eine Silberschale
gefunden, die eine Landschaft mit Tieren zeigt; dem Vogel ist ein Zweig koordiniert.
Strzygowski spricht von einer "uralten Leitgestalt", die zwar nicht im Iran aufkam, aber
doch von dort aus nach Osusien und Europa gelangte. Aus der Katakombenzeit sind zahl-
reiche Beispiele für Vögel mit Zweigen im Schnabel oder auf einem Palmzweig sitzend
bekannt. Auch in christlichen Mosaiken wurde das Motiv öfters aufgegriffen. In unserem
Jahrhundert erinnert sich Pablo Picasso seiner.

Bei Hieronymus Bosch ist die glückverheißende Bedeutung des Zweiges ofl ins Gegenteil
invertiert. Bei der Lissaboner Antonius-Versuchung schweben auf dem linken Flügel oben
mehrere Dämonen, die den Heiligen in die LUfte entführen; der eine schwingt einen gro-
ßen belaubten Zweig; vielleicht will er damit eine Fahrt ins Paradies vortäuschen, wie
ja auch ein anderer - selbst auf einem Fischdämon reitend - dem betenden Antonius in
heuchlerischer Weise einen Fisch (Sinnbild Christi) als Führer anbieten. Eine ganz eigen-
artige Darsteilung enthält die Mitteltafel des "Gartens der LUste”. Rechts im Bildvorder-
grund sind die Oberkörper zweier Menschen von einer großen Mohnblume verhüilt; die
vier Arme schauen heraus. Der eine Mensch hält die Arme hoch und hat in jeder Hand eine
Kirsche; der andere hat die Arme seitlich ausgestreckt, seine Hände greifen ins Leere. Ein
blätter-und früchtetragendes Rankengewächs (Ast) umgibt das Ganze. Auf der Mohnblume
sitzt eine Eule. Die Symbolbedeutung des Papaver somniferum ist noch ungeklärt (144),
obwohl eine solche im Mittelalter sicher vorhanden war; dabei sei auf die "Taufe Christi"
des Gerard David hingewiesen: der Schlafmohn befindet sich in der Mitte am unteren Bild-
 
Annotationen