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fläche wollte er festhalten, wohl aber den "Schoß der Natur" bloßlegen. "Unser pochen-
des Herz treibt uns hinab, tief hinunter zum Urgrund. Was dann aus diesem Treiben er-
wächst, ist ganz ernst zu nehmen, wenn es sich mit den passenden bildnerischen Mitteln
restlos zur Gestaltung verbindet. Dann werden jene Kuriosa zu Realitäten, zu Realitäten
der Kunst, welche das Leben etwas weiter machen, als es durchschnittlich scheint. Weil
sie nicht nur Gesehenes mehr oder weniger temperamentvoll wiedergeben, sondern geheim
Erschautes” (172). Die archetypische Zusammengehörigkeit von Baum und Mensch wird
gerade in der Kunst des 20. Jahrhunderts wieder manifest. Das vom Surrealismus geformte,
geistige Bild des Menschen ähnelt einem dämonischen Baumungeheuer oder einer bizarren
Schmarotzerpflanze, die auf dem Fäulnisschlamm der sich allmählich zersetzenden bür-
gerlichen Gesellschaft gedeiht. Hier ist an die Werke von Trökes zu denken, dessenphan-
tastische Bildwelt alle Möglichkeiten zwischen den sichentfaltenden "Urzellen" und dem abster-
benden, dendromorphen Menschenoffenläßt. jean JacquesRousseausRuf "retourä lanature”
wird in unserem Jahrhundert erweitert: "Zürück zum Ursprung", was in vielen Fällenei-
ner Formzertrümmerung und Wertauflösung gleichkommt. Daß dies für den Bildbetrachter
nicht unbedingt beunruhigend sein muß, ja, daß sogar eine gewisse innere Harmonieund
äußere Klarheit damit verbunden sein kann, zeigt sich im Schaffen von Henri Matisse.

Ursprünglich einer der Fauves, geht sein Oeuvre doch über diese hinaus. "Was mir vor-
schwebt ist Gleichgewicht, Reinheit und Mäßigkeit, ohne beunruhigende und ablenkende
Gegenständlichkeit". Das dekorative Element spielt in seiner Kunst eine wichtige Rolle,
besonders die Arabeske. Seiner zunehmenden Vorliebe für die Zweidimensionalitätkam
der Scherenschnitt entgegen; nebenstehende Abbildung zeigt "Le Boxeur nfcgre" (1947).
Die unzähligen Bewegungen des Boxers erscheinen als Plasmaarme: der Boxer selbst istzu
einer Fläche zusammengedrückt wie bei einem Klecksbild; das Ganze gleicht eher einer
unbekannten Pflanze als einem Menschen.

Stammbaum

Für die blutsmäßige Herkunft des Menschen wird gerne der sprachliche Vergleich mit dem
Baum herangezogen. So spricht man von Abstammung und Stammbaum und gebraucht die
 
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