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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 17.1974

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Westphalen, Klaus: Der Lateinunterricht im Spiegel neuer Lehrpläne: eine Zwischenbilanz der Curriculumrevision
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https://doi.org/10.11588/diglit.33068#0014

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Auch die vielfach befürchtete Gängelung von Lehrern und Schülern ist aus-
geblieben, im Gegenteil: Eine gewisse Mehrung der unterrichtlichen Möglichkei-
ten ist unverkennbar. Viel hängt allerdings von der Struktur des jeweiligen
Lehrplans ab. Als Beispiel diene die curnculare Behandlung einer bekannten
Stelle aus Ciceros de re publica:
(a) Der bayerische Curriculare Lehrplan „Der Mensch in Staat und Gesell-
schaft - politisches Denken der Römer“ formuliert als Lernziel 2 im Grund-
kurs35: „Kenntnis römischer Anschauungen vom Wesen des Staates und seiner
Grundformen; Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit staatstheoreti-
schen Fragen“.
(b) Der hessische Lehrplan „Libertas“ beschreibt die Ziele einer „staatstheore-
tischen Erörterung des Freiheitsproblems“ im Entwurf36 wie folgt:
„Die Kursteilnehmer sollen erkennen, daß
- hier die fundamentalen Wesensmerkmale und Unterschiede der drei Grundarten der
Verfassung aufgezeigt werden,
- dabei der Versuch unternommen wird, die griechischen Bezeichnungen der verschie-
denen Staatsformen in die lateinische Sprache umzusetzen,
- nach Ciceros Meinung die Teilhabe des Volkes an der libertas offensichtlich entschei-
dendes Kriterium einer vorbildlichen Verfassung ist,
- aber die schrankenlose Freiheit des Volkes (im Sinne etwa der athenischen Demokra-
tie) nicht gutgeheißen wird,
- nämlich die damit verbundene völlige Gleichheit aller Bürger nach röm. Empfinden
eine Ungerechtigkeit darstellt, da sie keine der dignitas entsprechenden Abstufungen
anerkennt,
- hier allerdings die Gefahr besteht, libertas stets im Sinne der herrsch. Schicht zu de-
finieren und dem Volk jeweils nur so viel Freiheit zuzugestehen, als sie den eigenen
Herrschaftsanspruch nicht bedroht.“
Trotz der Verbindlichkeit des Lernziels im bayerischen Lehrplan bleibt die
individuelle Unterrichtsgestaltung dem einzelnen Lehrer überlassen, das Curri-
culum ist offen37, während die zur Erprobung gestellten hessischen Rahmenricht-
linien die Interpretation inhaltlich festlegen und (im letzten Abschnitt) weltan-
schaulich binden wollen.
Eine gewisse Gefahr für einen genuinen Lateinunterricht stellt die um sich grei-
fende Thematisierung dar, wenn es nicht gelingt, Fachstrukturen, d. h. überlie-
ferte literarische Werke, damit in Einklang zu bringen. Wer vermutet schon,
daß es sich bei dem Lernziel: „Kennenlernen des organizistischen Ideologie-
modells“, das aus einem thematischen Leistungskurs stammt38, erstens um Latein-
unterricht handelt und zweitens um die schlichte Fabel des Menenius Agrippa
bei Livius? Unter dem Diktat der Lernziele wird das lateinische Substrat gleich-
sam verschleiert. Vor allem W. Suerbaum39 weist aus der Sicht der Universität
35 Bayern (a) S. 12. 36 Hessen (b) Heft 2, S. 3.
3' zum Offenen Curriculum vgl. die Zeitschrift „Thema Curriculum“ Heft 3 (1973)
sowie die „Zeitschrift für Pädagogik“ Heft 3/1973.
38 Hessen (b) Heft 2, S. 2.
39 Werner Suerbaum: Vor dem Ende der Ganzschriftlektüre? In: Anregung 19 (1973),
230ff.

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