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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 17.1974

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Nr. 2
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Fuhrmann, Manfred: Selbstbestimmung und Fremdbestimmung: ein motivgeschichtlicher Überblick
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https://doi.org/10.11588/diglit.33068#0021

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Selbstbestimmung und Fremdbestimmung
Ein motivgeschichtlicher Überblick
Von Manfred Fuhrmann

Humanismus
Der Begriff ,Humanismus' ist ein Erzeugnis des beginnenden 19. Jahrhunderts:
er wurde von dem Hegel-Freunde Niethammer geprägt. Er bezeichnete zunächst
den von der deutschen Klassik propagierten Versuch, ein bestimmtes Idealbild
vom Menschen mit einem geschichtlichen Substrat, mit den Griechen, zu ver-
knüpfen; er bezeichnete vor allem die Konsequenzen, die dieser Entwurf im
europäischen Bildungswesen gezeitigt hat. Er blieb freilich nicht Alleinbesitz
dieser im prägnanten Sinne ,humanistischen' Bildungstradition - er übte eine
starke Suggestivkraft aus und wurde im Laufe der Zeit von einer großen Viel-
falt sehr verschiedener Richtungen beansprucht: vom Sozialismus und Kommu-
nismus, von rationalistisch-biologistischen Deutungen des Menschen, von Re-
präsentanten der christlichen Konfessionen, vom Existentialismus. Und in der-
selben Zeit ist sich auch der primäre idealistische, der mit der Antike verknüpfte
und im Schulwesen verankerte Humanismus nicht gleich geblieben: er entfernte
sich, wie jüngst Walter Jens gezeigt hat1, gerade in Deutschland von seinen ur-
sprünglichen, auf die Freiheit des Individuums und des Staates zielenden In-
tentionen; er ergab sich teils einem apolitischen Ästhetizismus, teils einem der
politischen Macht hörigen Chauvinismus.
Es ist hier nicht möglich, alle jene Richtungen, die den Begriff ,Humanismus'
für sich beanspruchen, des näheren zu betrachten - wer Auskunft sucht, findet in
leicht erreichbaren Publikationen, wie den zusammenfassenden Darstellungen
von Walter Rüegg und Joseph Vogt2, einen ersten Zugang. Wohl aber kann und
muß gefragt werden, wie man sich als Anhänger, und erst recht, wie man sich als
professioneller Repräsentant des primären Humanismus zu den mannigfaltigen
Humanismen der Gegenwart stellen soll. Für eine derartige Überlegung kommen
offenbar zuallererst folgende vier Gesichtspunkte in Betracht:
1. Der primäre, der seinem Ursprünge nach idealistische Humanismus hat ein
Charakteristikum, durch das er sich deutlich von allen jüngeren Humanismen
unterscheidet: er allein hat nicht nur Ziele, sondern auch Stoffe - die antiken
Sprachen und die antike Kultur -, mit denen er diese Ziele zu erreichen sucht;
er allein verlangt ein Lernpensum, mit dessen Bewältigung schon frühzeitig be-
gonnen werden muß; er allein ist in der Hauptsache ein Phänomen des Schul-
unterrichts, der Erziehung, der sprachlich-literarischen Bildung.
2. Andererseits haben alle Humanismen Gemeinsamkeiten in ihren Zielen
(sonst wäre ja auch die identische Bezeichnung sinnlos): sie wollen dem Men-
1 W. Jens, Antiquierte Antike? (Sylter Beiträge 1), Münsterdorf 1971.
2 W. Rüegg, Die Humanismusdiskussion, in: Humanismus (Wege der Forschung 17),
Darmstadt 1970, S. 310-321. J. Vogt, Wandlungen des Humanismus, in: Gymnasium
74 (1967), S. 393-404.

DAV-Mitteilungsblatt 1974/2

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