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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 21.1978

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Nr. 4
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Burnikel, Walter: Die lateinischen Stilübungen an der Universität
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https://doi.org/10.11588/diglit.33075#0064

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Die lateinischen Stilübungen an der Universität*
Wenn der Lateinlehrer, der 1957 Staatsexamen gemacht hat, seine alten Vor-
lesungsverzeichnisse mit denen von 1977 vergleicht, werden ihm, was die Stil-
übungen anlangt, keine großen Unterschiede auffallen. In aller Regel wird er
die vertraute Ankündigung „Stilübungen Unterstufe — Stilübungen Oberstufe“
wiederfinden und sich vielleicht freuen, daß die Universität von dem Streit
um den Nutzen der Hinübersetzung, um „Das ewige Hin und Her“1, verschont
geblieben ist. Sein Eindruck „an der Universität nichts Neues“ würde sich
schnell ändern, wenn er als Gast an den einzelnen Übungen teilnehmen würde.
Verwundert würde er sehen, daß in den Anfängerkursen elementare Syntax,
ja Formenlehre geübt wird, daß der Ablativ von donum utile auch von Zweit-
semestern noch mit dono utile angegeben wird und daß es für viele Studenten
eine schier ungeheure Anstrengung bedeutet, die Sätze „Quid sine te faciamus?
Nisi brevi redieris, amicus tuus morietur“ in oratio obliqua von „Parentes ex
filio quaesiverunt“ abhängig zu machen2. In den Oberstufenkursen wird er die
Phraseologie von Schönberger und I. v. Müllers Stilübungen schnell beiseit legen
und sich auch nicht mehr auf das schwierige Umdenken von Goethe- oder
Zeitungstexten einstellen. (Derartiges wird nur noch gelegentlich getrieben.) Er
braucht nicht mehr wie Cicero und Tacitus/Livius/Seneca schreiben zu können;
in aller Regel genügt es, Cicero retrovertieren zu können.
Dergestalt ernüchtert, wird der Lateinlehrer sich klarmachen, daß Schüler,
deren Lateinunterricht nicht 45—50, sondern im besten und seltenen Fall 40,
im schlechtesten und gewöhnlichen 31 Jahreswochenstunden in der Summe
ausmacht (so die Zahlen fürs Saarland), so daß fast notgedrungen das Hin dem
Her geopfert werden muß; die in der Regel nur noch 7 Jahre lang im Lateini-
schen unterrichtet werden3, also in den Jahren, in denen das Gedächtnis
besonders aufnahmefähig ist, keine lateinischen Vokabeln lernen; die die Stütze
des Griechischen nicht haben, sondern es mühsam nachlernen müssen — daß
solche Schüler mit anderen Voraussetzungen an die Universität gehen als er
selbst vor 20 Jahren4.
Weiter wird er sich fragen, ob es bei einem so reduzierten Programm über-
haupt noch sinnvoll ist, an dem alten Etikett „Stil“-übungen festzuhalten. Tat-
sächlich hat eine Reihe von Universitäten entweder generell auf diese Bezeich-
nung verzichtet (Ersatz: „deutsch-lateinische Übersetzungsübungen“, „Sprach-
übungen“) oder wenigstens dem Grundkurs einen eigenen Namen gegeben

* Die folgenden Ausführungen beruhen auf den Ergebnissen einer Fragebogenaktion
„Zur Praxis der lateinischen Stilübungen im Rahmen der sprachlichen Ausbildung“, die
ich 1976/77 durchgeführt habe. Insgesamt sind 25 Institute für Klassische Philologie in
der Bundesrepublik (einschl. Berlin) angeschrieben worden. Der Rücklauf betrug 22.
Da mich die ersten Antworten bereits im Frühjahr 1976 erreicht haben, geben ver-
mutlich nicht alle Einzelheiten den letzten Stand wieder. Doch dürfte das Gesamtbild
davon nicht tangiert sein.

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