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Österreich / Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale [Hrsg.]
Mittheilungen der K.K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale — 5.1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.21913#0033
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A nge 1 o , A. Dürer und H o 1 b e in sind, gewinnt das Interesse, mit
welchem sich die Forschung den Entwicklungsstadien der Kunst zu-
wendet, innere Bedeutung und der Aufwand an Geist und Mühe
seinen Lohn.

Deutschen Lesern des H a rfo rd’sehen Werkes fällt es vor Allem
auf, dass dasselbe in der kurzen Zeit eines Jahres in England ver-
griffen und eine zweite Auflage nöthig war. Sicher ist dies eine
auffallende Erscheinung für ein Land, das auf dem Continente als die
feste Burg jener Bestrebungen, die der Kunst diametral entgegen-
stehen, betrachtet und als der Hort aller egoistischen, idealen Ten-
denzen feindlichen Richtungen des Lehens angesehen wird; sie ist
ganz geeignet auf die Einseitigkeit solcher Anschauungen aufmerksam
zu machen.

Eine grosse Reihe von Erscheinungen, welche tagtäglich in
England hervortreten, lässt darüber gar keinen Zweifel, dass in der
höheren Gesellschaft Englands die verschiedenen geistigen Bedürf-
nisse einen Umfang, eine Tiefe erreicht haben, von denen wir uns auf
dem Continente, wo dieselbe Gesellschaft sich, wenn überhaupt, so mit
sehr untergeordneten geistigen Apparaten in ihrer Umgebung begnügt,
nicht leicht eine Vorstellung machen können. Das Harford’sche
Werk, mit Kupfern und Illustrationen reich geschmückt, ist vorzugs-
weise für diese Lebenskreise berechnet, und wird diesen gegenüber
seine Anforderungen erfüllen. Angenehm und leicht geschrieben,
verfällt es nicht in die flache schöngeistige Manier, welche vorzugs-
weise bei französischen Schriftstellern, welche sich mit ähnlichen
Aufgaben dem Publicum gegenüber beschäftigen, in die Mode gekom-
men ist. Harford’s Arbeit hat ganz den Charakter und die
Methode einer wissenschaftlichen Geschichte und Darstellung. Sie
geht auf die Quellen zurück und beurtheilt die Leistungen Mi ch e 1
Angelo’s auf Grund eigener Anschauung. Dabei gibt Harford sich die
Mühe, die Werke selbst zu beschreiben und weicht darin von deut-
schen Schriftstellern ab, die es manchmal unter ihrer Würde halten,
die Gegenstände zu beschreiben, die schon anderswo beschrieben
worden sind, und sieb an keine anderen Leser wenden, als solche,
welche Bibliotheken benützen und dem Gelehrtenstande als solchem
angehören. Das Herabsteigen zu den Bedürfnissen des gebildeten
Publicums ist ein grosser Vorzug der englischen Kunstliteratur, und
wir würden wünschen, dass dieses Beispiel, welches uns England
gibt, Nachahmung in der deutschen Literatur finden würde.

John Harford behält sich das Recht der Übersetzungen vor,
geht also gewissermassen von dem Gedanken aus, dass sein Werk auch
dem Bedürfnisse des grösseren Leserkreises auf dem Continente ent-
spreche. Wenn wir nicht zweifeln, dass in der italienischen, französi-
schen und deutschen Literatur eine Übersetzung im eigentlichen
Sinne des Wortes willkommen sein würde, so gestehen wir doch
aufrichtig, dass für Deutschland eine Bearbeitung nützlicher wäre
als eine Übersetzung. Harford ist durch und durch Engländer:
er verweilt bei einzelnen Punkten, die uns weniger interessiren, oder
die ganz anders bearbeitet werden müssten, viel zu lange. Die Dar-
stellung der Humanisten , P i co M i r a n d o 1 a’s, P o 1 it i an’s u. s. f.,
der platonischen Akademie am Hofe Loren zo’s von Medici ist,
abgesehen davon, dass Ergänzungen nothwendig wären, für die
Zeit Michel Angelo’s nur dann einer so ausführlichen Darstellung
werth, wenn auf der anderen Seite der Wiederentdeckung der antiken
Kunstwerke eine eben so grosse Aufmerksamkeit gewidmet worden
wäre. Denn Lorenzo als Kunstsammler und als Kunstfreund ist eben
so interessant, wie eres als Freund der Humanisten ist, und von der Bio-
graphie Michel Angel o’s erwartet man eben so gewiss eine ausführ-
liche und eingehende Darstellung dieses und der damit zusammen-
hängenden Punkte, als ein Eingehen in die literarischen Bewegungen
jener Zeit. Ebenso ist alles das, was über den Dominicaner Girolamo
Savonarola gesagt ist, viel mehr berechnet auf die theologischen
Streitigkeiten zugängliche Lesewelt Englands, als für das ander-

wärtige Continentalpublicum; auch wird, während auf die religiösen
und politischen Streitigkeiten des kühnen Mönches von S. Marco
ausführlich eingegangen ist, jener Punkt nur sehr kurz berührt,
in welchem sich die Kunstbestrebungen einer Richtung der damaligen
florentinischen Malerschule mit der religiös-politischen Bestrebung
Savonarola’s begegnen.

Ganz befangen ist das Urtheil Ha r ford’s dort, wo wir ihn über
die Stellung des päpstlichen Stuhles zur Kunst sprechen hören.
Seine Urtheile über Julius II. und Leo X. stehen auf dem beschränk-
ten Standpunkte seinesBekenntnisses. Namen, wie Martin V., JuliusIL,
Leo X., Paul III., die so viel dazu beigetragen haben, den Durchbruch
jener Ideen auf dem Gebiete der Kunst zu fördern, welchen Michel
Arigelo und Rafael den glänzendsten Ausdruck gegeben haben,
müssen von einem viel unbefangeneren Standpunkte beurtheilt
werden, als es der ist, auf welchem sich II arford befindet.

Betrachten wir die ästhetische Seite dieses Werkes, so ist ein
Punkt, dessen Erörterung wir fast vollständig vermissen, und auf den
es gerade bei den Beurteilungen des M i c h el Ange 1 o ankommt.
Die ganze Kunstliteratur des sechzehnten Jahrhunderts bezeugt,
dass die Fragen über das Wechselverhältniss der Malerei zur Sculptur
die ganze Künstlerwelt lebhaft beschäftigt haben; noch in neuerer
Zeit hat ein interessantes Manuscript eines Zeitgenossen Michel
Angelo’s, welches Graf Ra c z i n s k y in seinem Werke „les Arts en
Portugal“ (Paris 1846) veröffentlicht hat, auf diesen Punkt auf-
merksam gemacht. Diese Frage, welche wir eben berührt haben, ist
allerdings unserer modernen Künstlerwelt entrückt; aber ihre Bedeu-
tung ist nichts desto weniger vorhanden und gerade für jene Zeiten,
die ein Geschichtschreiber Michel Angelo’s behandelt. In einem
deutschen geschriebenen Werke über Michel Angel o würden
wir eine ausführliche und eingehende Würdigung dieser Frage mit
Rücksicht aufMichel Angelo selbst verlangen. Wir lassen uns
an diesem Orte ausführlicher auf die Kunsturtheile Harford’s über
Mi ehel Angelo nicht ein, die im Ganzen einen klaren und den-
kenden Kopf und ein kunstgebildetes Auge verrathen. Denn bevor
weiter erschöpfende Urtheile über diesen Künstler nach allen Seiten
hin begründet ausgesprochen werden können, ist eine kritische Unter-
suchung über die Echtheit der dem Michel Angelo zugeschrie-
benen Gemälde und Hnndzeichnungen nolhwendiger; denn es ist
bekannt, dass es über diese viele Unsicherheiten gibt. Niemand wird
über die Schwierigkeit, welche das Leben Michel Angelo’s bietet,
hinaus kommen, der nicht in diesem Punkte mit sich vollständig im
Reinen ist, und darauf, scheint es mir, müsste gegenwärtig die Auf-
merksamkeit deutscher Forscher in erster Linie gerichtet sein, die
sich mit der Aufgabe beschäftigen, den grossen Florentiner dem
deutschen Publicum näher zu rücken. Die ärmliche Liste von Ge-
mälden und Handzeichnungen, welche Harford (Band II, S. 346 —
350) gibt, zeigt deutlich, wie nothwendig ein raisonnirender Katalog
sämmtlieher Werke Michel Angelo’s wäre. Doch abgesehen
von den eben gerügten Mängeln bleibt das Harford’sche Werk ins-
besondere dem deutschen Lesepublicum gegenüber eine sehr beaeh-
tenswerthe Erscheinung, die dieses in weit höherem Grade befriedi-
gen wird , als das, was sonst in unserem Jahrhundert über diesen
Künstler geschrieben worden ist.

Wie sehr übrigens gegenwärtig Michel Angelo die gebildete
Welt wieder beschäftigt, davon gibt die eben erschienene erste
vollständige französische Übersetzung der Poesien M i ch e 1 A n ge 1 o’s
volles Zeugniss. Sie führt den Titel „Michel An ge poete, pre-
miere traduction de ses poesies, precede d’une etude sur Michel
Ange et Vittoria Colonna, par A. L a n n a u R o 11 a n d , (Paris
1860)“. Die Übersetzung in Prosaist getreu — schade, dass die histo-
rische mit echt französischer Oberflächlichkeit gearbeitete Einleitung
alle Anekdoten und Fabeln aufgenommen, welche die historische
Kritik längst schon verworfen hat. R. v. Eitelberger.

Aus der k. k. Hof- und Staatsdruckerei.
 
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