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Österreich / Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale [Hrsg.]
Mittheilungen der K.K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale — 5.1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.21913#0035
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30

Oder wenn Unterschiede vorhanden sind, wann und wie
löst sicli die romanische Weise von der fränkischen ab?
Man sieht aus diesen Beispielen den langen Weg, den wir
noch zurücklegen müssen, ehe wir auch diesen Zweig der
Kunstgeschichte reif zum Abschlüsse erklären. Und den-
noch gibt es keinen andern Zweig, dessen wissenschaft-
liche Bewältigung noch mehr Kraft und Zeit in Anspruch
nehmen dürfte als die Geschichte der Ornamentik. Die
Mehrzahl der Bildmotive des tieferen Mittelalters harrt
noch immer der erklärenden und entziffernden Hand; sie
sind vielfach nicht blos für Laien, sondern auch für das
Kennerauge Rät hselbilder, deren Sinnzuweilen erra-
tlien, selten begriffen wird.

Die Zeit ist vorüber, wo man die seltsamen Thier-
figuren, phantastischen hybriden Gebilde und plumpen
Menschengestalten als Producte roher Barbarei ohne Be-
deutung und Gehalt wegwerfend behandeln konnte. Die
dem Mittelalter eigentümliche Betonung des didaktischen
Elementes in der Kunst widerspricht grundsätzlich einer
solchen Annahme, ganz abgesehen von der Falschheit der
Voraussetzung: das tiefere Mittelalter wäre des künstle-
rischen Gefühles und Vermögens bar gewesen. Auch die
Hinweisung auf gnostische Geheimnisse und Templer-
ketzereien als den Kern jener Schilderungen findet gegen-
wärtig keine gläubigen Ohren mehr. Dafür stossen wir
bei den Deutungsversuchen der Räthselbilder auf eine an-
dere Modekrankheit. Überall späht man nach Motiven, der
germanischen Mythologie entlehnt, überall erblickt man
Verkörperungen eddischer Gestalten und Situationen. Es
fehlt nicht viel, dass man uns in den mittelalterlichen Schil-
dereien das erklärende Bilderbuch zur Völuspa und Edda
überhaupt bietet, zumal bei dieser Auffassung der Schein
der Wissenschaftlichkeit vollkommen gewahrt wird. Denn
Niemand läugnet das Nachleben des nationalen Alterthums
in mittelalterlichen Sitten, Niemand bezweifelt das Hinein-
ragen germanisch-heidnischer Anschauungen in die deutsche
christliche Bildung. Jeden Tag bestätigt die Sagenfor-
schung, die Mährchensammlung, die Sittengeschichte, dass
in den Volksgebräuchen des Mittelalters viele heidnische
Anklänge sich erhalten haben, eine grosse Zahl von Vor-
stellungen einen altgermanischen Kern in sich birgt. Hat
doch selbst manchen religiösen Gestalten der Volksglaube
heidnischen Stoff beigemischt. Sollten nun nicht auch in
der bildenden Kunst ähnliche Anklänge und das altarerma-
nische Wesen vorhanden sein? Gewiss die deutschen Alter-
thumsforscher führen mannigfache Beispiele an: der heil.
Eligius in der Züricher Wasserkirche, wie er beschäftigt
ist, den abgeschnittenen Pferdefuss zu beschlagen1), die
drei Heilräthinnen im Wormser Dome2) u. a. Wir wollen

1) Wolf, Beiträge z. d. Myth. 11, 87.

2) S i in r o c k , deutsche Mythol. 387: H o h e it r e u t li e r , Kunstgesch.

Darstellung des Domes zu Worms, 33.

die Beispielsammlung noch um ein auffallendes Beispiel
vermehren, nicht um Anhänger für den Eddadienst im Mit-
telalter zu werben, sondern um daran die Weise, wie my-
thologische Motive in der christlichen Kunst verwendet
wurden, zu erkennen.

Grimm *) hebt mit Vorliebe die Verwandtschaft zwi-
schen dem eddischen Weltbaume und dem Kreuzesstamme
hervor. Er kann unmöglich glauben, dass der Mythus von
Yggdrasil aus der kirchlichen Vorstellung von dem Kreuze
hervorgegangen sei, sondern muthmasst, schwebende heid-
nische Traditionen von dem Weltbaume seinen bald nach
der Bekehrung auf einen Gegenstand des christlichen
Glaubens angewandt worden, wie man heidnische Tempel
in christliche umändert. Wie die Weltesche Himmel, Hölle
und Erde verknüpft, so reicht auch das Kreuz bis an den
Himmel und berührt die Hölle2). Auch der an den Wur-
zeln der Weltesche nagende „Nidhöggr“ klingt in der an
der Kreuzeswurzel sich windenden Schlange wieder. Wir
können weiter gehen und die unmittelbare Darstellung des
Weltbaumes nachweisen. Am südlichen Portale des Bapti-
steriums zu Parma begegnen wir einem Bildwerke, dessen
räthselhafter Inhalt bereits Hammer’s Aufmerksamkeit
gereizt, und welcher gegenwärtig wohl eddisch gedeutet
werden dürfte. Die Mitte des Reliefbildes3) nimmt ein
breitkroniger Baum ein, in dessen Zweigen ein Jüngling
sitzt, eifrig beschäftigt die Früchte des Baumes (Granat-
äpfel) in ein Körbchen zu sammeln. Am Fusse des Baumes
erblicken wir einen geflügelten, Feuer gegen den Jüngling
schnaubenden Drachen, noch weiter unten zwei kleine
Thiere, deren Gebiss offenbar die Wurzeln des Baumes
bedroht. Sonne und Mond, beide doppelt in symbolischer
Abkürzung und dann in mythischem Vollhilde auf Wagen
dargestellt, schliessen das Mittelbild. In dem vom Feuer-
drachen gefährdeten Baume erkennen wir ohne Mühe den
von Nidhöggr angefeindeten Yggdrasil der Edda wieder.
Aber die beiden anderen Thiere? Für Wölfe, wofür man
sie gewöhnlich nimmt, erscheinen sie viel zu klein, desto
mehr erinnert Form und Gestalt an Mäuse. Wir bedürfen
keiner weiten Umschau auf dem Gebiete der Sage, um
das Heranziehen der beiden Mäuse zu deuten und zu recht-
fertigen. Grimm führt an jener Stelle, wo er von der
weiten Verbreitung des Weltbaummythus spricht, die be-
liebte Legende von Barlaam und Josaphat an. Hier
sehen wir als Bild des Lebens den Baum geschildert, auf
welchen sich der Mensch geflüchtet hat, der aber nur
von einem Drachen mit geöffnetem Rachen belauert wird»

1) D. Myth. 737.

2) Otfrid V, 1, 19; Alcuin (?) de divinis officiis c. 18. Auf dieser Auf-
fassung’ beruht, nebenbei gesagt, das untere Motiv an den Extersteinen,
welches nicht , wie Braun im rheinischen Winkelinanns Programm
1838 willkürlich behauptet, den Siindenfall, sondern das von der Höllen-
macht umstrickte Menschengeschlecht darstellt.

S) Revue arche'ologiijue 1833, t. I, pl 216.
 
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