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Österreich / Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale [Hrsg.]
Mittheilungen der K.K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale — 5.1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.21913#0067
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62 —

Kunstwerken zu tliun, welche dem österreichischen Alter-
thums-Yereine für seine öffentliche Sitzung vom 3. Februar
zur Verfügung gestellt wurden. Es sind vorzugsweise die
Photographien zweier Werke von Michel Angelo,
die Madonna von Manchester und die Madonna am Lese-
pulte; ferner zwei Rafael’sche Gemälde: der „Apollo und
Marsyas“ und das Portrait Dante’s. Als Erläuterung dieser
Werke dienten eine Anzahl von Handzeichnungen Rafael’s,
unter denen jene die berühmteste ist, welche im Resitze
der Akademie der bildenden Künste zu Venedig sich befindet.
Über die Photographien nach Michel Angelo mögen nur
einige wenige Worte erlaubt sein.

Die „heilige Familie von Manchester“, gegenwärtig
Eigenthum des Herrn Labouchere, wird desswegen so
genannt, weil sie auf der Ausstellung von Manchester sich
befand, und dort als ein entdecktes Gemälde von Michel
Angelo natürlicher Weise die Aufmerksamkeit aller
Kunstfreunde erregt hat. Die Ehre der Entdeckung dieses
Bildes gebührt den Herrn Morris Moore. Im Juni 1833
wurde das erwähnte Comite des Unterhauses zusammenge-
setzt, um die Anklagen gegen die Verwaltung der National-
gallerie und speciell Herrn E a s tl ea ke zu prüfen. Unter
diesen Anklagen befand sich auch die, dass von der Natio-
nalgallerie das Gemälde, welches derselben von der Witwe
Bonnart um den Preis von 400 Pfund als ein Domenico
Ghirlandajo angeboten, zurückgewiesen wurde, ein Gemälde,
welches später von dem Hause Colnaghi und dann von
Herrn Labouchere erworben wurde. Dieses Gemälde
bezeichnete Morris Moore im Jahre 1833 vor dem genann-
ten Comite als ein Werk des Michel Angelo; ein Jahr
später machte auch Director Waagen denselben Ausspruch
über dasselbe Gemälde. Die Entdeckung eines Micbei
Angelo ist in der Geschichte der Kunst ein noch viel
selteneres Ereigniss, als die eines Rafael. Denn bekannt-
lich existiren von Michel Angelo nur ausserordentlich
wenig echte Staffeleibilder, eines davon, Maria mit Joseph
und dem Jesukinde, ist in der Gallerie der Ufificien in
Florenz, ein zweites ist die „Madonna von Manchester“,
und ein drittes, ebenfalls ein Madonnabild, ist im Besitze
des Herrn Morris Moore. Ein anderes Gemälde Michel
Angelo's, das in früheren Zeiten ziemlich allgemein für
ein echtes Bild gehalten wurde: die „drei Parzen“, in Flo-
renz, gilt jetzt für ein nur nach der Zeichnung Michel
Angelo's ausgeführtes Werk eines seiner Schüler, viel-
leicht des Rosso Rossi. Die früher angeführten drei Bil-
der sind sämmtlich in Tempera. Es ist bekannt, dass
Michel Angelo in seinem 13. Lebensjahre (1488) in
das Atelier des G h i r 1 a n d a j o trat, eines der berühmtesten
Maler von Florenz in der Mitte des XV. Jahrhunderts, und
dass Michel Angelo aus dieser Schule Manches in seine
Werke herübernahm. Von den drei genannten Gemälden
ist die „Madonna am Lesepulte“, d. h. jenes, welches
Herr Moore besitzt, das älteste — es mag in das Jahr 1493

fallen — und es ist daher nicht zu wundern, dass es früher
als ein Ghirlandajo bezeichnet wurde. Das Bild hat
2' 3" Durchmesser. In der „Madonna von Manchester“ *) tritt
Michel Angelo schon mit grosser Selbstständigkeit auf;
die Composition ist reizend, und der Typus der Madonna
hat ganz die originelle Auffassung, die ein Marmonverk
desselben Künstlers, die „Pieta von S. Pietro“ (aus 1499
oder 1300), zeigt. Von ganz besonderer Schönheit sind an
der „Madonna von Manchester“ die zwei Engel zur linken
Hand Mariens; die zwei Engel auf der entgegengesetzten
Seite sind unvollendet. Die Madonna der Uffizien, gemalt
für Angelo Doni (4' 4" im Durchmesser), ist aus einer
späteren Zeit, wie die Gewaltsamkeit oder vielmehr das
Gesuchte der Composition zeigt; die reizendste Partie
der Gemälde sind die nakten Figuren im Hintergründe.

Indem wir uns nun zur Untersuchung des Ra f ael’schen
Gemäldes wenden, ist es nicht nöthig zu erinnern, dass die
Echtheit des Werkes in allen Kreisen eine anerkannte ist,
die mit Unbefangenheit demselben gegenüber gestanden
sind. In München und in Dresden haben sich alle Männer
von Bedeutung und Einsicht für die Echtheit desselben aus-
gesprochen. In Paris ist dasselbe geschehen. Männer wie
D e 1 a h o r d e, D e 1 e c 1 u z e , Gruy er, M e r i m e e,
Ingres, Ricard, Baron Triqueti u. s. f. haben in
diesem Sinne ihr Urtheil abgegeben. Hier in Wien — aus
Berlin ist uns das Urtheil des Professors Mandel bekannt —
ist ein Gleiches geschehen. Künstler wie Kunstkenner von
Namen und Bedeutung haben sich in diesem Sinne ausge-
sprochen. Es handelt sich also nicht so sehr darum, einen
Gegenstand eines noch schwebenden Streites zu behandeln,
als vielmehr, die aus diesem Anlasse hervortretenden An-
sichten zu prüfen, um der Bedeutung eines Werkes gerecht
zu werden, wie es ein Rafael in denAugen von Künstlern
und Kunstkennern sein muss.

Denn die Erwerbung eines Rafael ist für die Kunst-
geschichte dasjenige, was eine eroberte Festung für einen
Feldherrn, eine neu entdeckte Insel für einen Geographen
ist. Sie ist Gegenstand des gerechten Stolzes für den
Kenner, dem die Ehre der Entdeckung gebührt, und zugleich
für die Wissenschaft und Kunst ein unzweifelhafter Gewinn.

Bei der Beurtheilung eines Werkes von Rafael
hat man in einer Stadt, wo man nur wenige Bilder dieses
Künstlers zu sehen Gelegenheit hat, mit mancherlei Vor-
urtheilen und vorgefassten Meinungen zu kämpfen. Die
meisten stellen sich den Rafael ganz anders vor, als er
in Wahrheit ist, und bilden sich ein Urtheil über diesen
Künstler nach Bildern seiner Schüler, nach manierirten
Kupferstichen, nach hyperenthusiastischen und desswegen
nur halb richtigen Schilderungen, und sind ganz erstaunt.

*) Eine Abhandlung- über diese Madonna mit einer ziemlich guten Abbildung
ist zu linden in dem Märzhefte der „Gazette des beaux arts“ (Jahrg-ang-
1S59J.
 
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