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Österreich / Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale [Hrsg.]
Mittheilungen der K.K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale — 5.1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.21913#0131
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126

Darstellung Varianten. Die Stelle, welche in Wiener-Neu-
stadt Johannes einnimmt, fällt in der Liebfrauenkirche zu
Trier, Avie schon hei Duraudus1), Andreas aus. Eben so
wechseln Philippus und Jakobus , Bartholomäus und Mat-
thäus u. s. w. ihre Rollen. Auch darf nicht übersehen wer-
den, dass in der Kirche zu Wiener-Neustadt zwei Propheten-
bilder fehlen , welche möglicher Weise die Übereinstim-
mung mit dem Frohnleichnamsspiele noch deutlicher heraus-
gestellt hätten. Jedenfalls sind wir zudem Schlüsse berech-
tigt: Der Bildner in Wiener-Neustadt und der Verfasser des
Frohnleichnamsspieles schöpften aus einer Quelle, benützten
mindestens gleichartige und nahestehende Überlieferungen.

Wir knüpfen an diese Erkenntniss die weitere Frage,
oh nicht ähnliche Wechselbeziehungen z Avis eben der Poesie
und der bildenden Kunst des Mittelalters in ausgedehnter
Weise nachzuAveisen sind? Haben vielleicht grundsätzlich
die Poesie und Bildnerei ihre Motive aus demselben Kreise
geholt, so dass die erstere zur Erklärung und Ergänzung
des Inhaltes der letzteren herangezogen Averden kann, oder
griff Avohl gar die bildende Kunst ihre Motive aus den
Dichtenverken heraus, Avelche den aussen liegenden Stoff
bereits anschaulich gestalteten, für die Phantasie des Plasti-
kers und Malers vorbildeten und die grossen Umrisse der
Darstellung vorzeichneten? Befremdendes läge durchaus
nicht in einem solchen Verhältnisse. Wie in der Griechen-
zeit die Poesie ZAvischen dem Mesthus und der bildlichen
Verkörperung durch die Kunst ein festes Band schlang, so
konnte auch das Mittelalter die religiösen Motive durch die
Dichtung der bildenden Kunst zuführen. An und für sich
ist ja das Erfinden und Schaffen des Inhaltes nicht Sache
und Aufgabe der plastischen und malerischen Kunst, ihre
Mittel zur Durchführung eines solchen Zweckes sind durch-
aus unzureichend. Es kann Zeiten gehen, avo der Künstler
in der Neuheit und Originalität der Gedanken Ruhm sucht,
die Unsterblichkeit sich nur gesichert glaubt, indem er den
Dichter auf seinem Gebiete überflügelt. GeAviss bleibt dann
die malerische Schönheit des Werkes auch hinter den bil-
ligsten Ansprüchen zurück. Gesunde und lebenskräftige
Kunstperioden zeichnen sich stets dadurch aus , dass die
verschiedenen Kunstgattungen statt selbstzerstörend zu
rivalisiren, einträchtig zusammemvirken und eine Aveise
Ökonomie der Kräfte einhalten. Gerade je mächtiger und
tiefer der Inhalt des Motives ist, Avelches der bildende
Künstler verkörpert, desto wünschenswerther muss es ihm
erscheinen, denselben bereits vorbereitet zu empfangen,
und auch bei den Beschauern ein stoffliches Verständniss
voraussetzen zu dürfen. Müssen diese erst mühsam mit
dem Inhalte ringen, rathen und forschen, dann sind sie
für den formellen Eindruck stumpf geworden und unem-
pfänglich für den Hauptreiz malerischer oder plastischer
Schilderung.

f) Rationale div. oifie. 1. fAr, de Svmholo cap. 25.

Wir versündigen uns daher keineswegs an der Künstler-
grösse des Mittelalters, Avenn Avir die Mehrzahl der Motive
nicht in der Phantasie der einzelnen Künstler entspringen
lassen, sondern einen früheren Bestand derselben annehmen,
schon zurechtgelegt und vorbereitet für die künstlerische
Form, ein Gemeingut in Aveiteren Kreisen.

Wären wir über die persönlichen Verhältnisse der
mittelalterlichen Künstler genauer unterrichtet, so Avürde
die Frage, aus welchen Quellen sie ihre Motive schöpften,
am raschesten auf diesem Wege entschieden Averden. Da
dieser Gang der Untersuchung durch das Dunkel, das über
den künstlerischen Persönlichkeiten herrscht, abgeschnitten
ist, so müssen wir aus der Natur der Motive ihre Herkunft
abzuleiten versuchen. In einzelnen Fällen kann die Ent-
lehnung auf den ersten Blick erkannt werden. Das Glücks-
rad z. B., über dessen Anwendung in der christlichen Kunst
diese Blätter noch jüngst berichtet haben Q, ist in seinem
Ursprünge offenbar keine malerische oder plastische, son-
dern eine poetische Idee. Die Bedeutung desselben ruht
wesentlich auf der Anschauung des eAvigen Umschwunges,
der kreisförmigenBewegung, Avie sie eben nur die poetische
Phantasie schildern und die vom Dichter angeregte Einbil-
dungskraft noch empfinden kann. Der Bildhauer und Maler
kann diesen UmschAvung nicht unmittelbar ausdrücken, es
sei denn, dass er den Abt von Fecamp nachahmt, welcher
ein Rad durch künstlichen Mechanismus drehen liess, um
den Mönchen den Wechsel des Lehens und Glückes zu
Gemüthe zu führen 1 * 3). Er muss bei den Beschauern die
Kenntniss des Motives voraussetzen, die Vermittlung der
Poesie herbeirufen, soll sein Werk Avirkungsvoll erscheinen.
Nachdem der Dichter dem bildendenKünstler vorangegangen
war , vermag auch der Letztere das Motiv zu gestalten,
auf die poetische Erinnerung gestützt, Avelche zum Bilde
des starren Rades die BeAvegung hinzufügt.

In anderen Fällen mag eine ähnliche Wechselwirkung
nicht so unmittelbar zu Tage treten. Immerhin bleibt der
Grundsatz giltig, dass diePoesie und die bildendeKunst des
Mittelalters sich an verwandte Gedankenkreise anlehnten,
von gleichen Anschauungen sich nähren. Wer die goldene
Schmiede Konrad’s von Würzburg oder Gottfried’s von
Strassburg L o b g e s a n g a u f M ar i a, dieMariengrüsse
aus dem zwölften Jahrhundert, Avelche Haupt im achten
Bande seiner Zeitschrift mittheilt, kennt, wer die Hymnen:
0 Maria rubens Stella, jenen: Pange, lingua seclule vir-
ginis honorem, den Dritten: Ad te mens consurgat rei.

1) Heide r, Das Glücksrad und dessen Anwendung in der christlichen
Kunst in den Alitlh. 1839, Nr. 3. Zu den poetischen Bearbeitungen dieses
Motives wäre ausser jenen in Heider’s Abhandlung angeführten hin-
zuzufügen: La roe de Fortune in Jubinal, Jongleurs et Trouveres.
Paris 1833, S. 177. Es gewinnt dieses aus den XIII. Jahrhunderte
stammende Gedicht dadurch ein besonderes Interesse , dass es die
Todtentanzbetrachtung einleitet, die Motive des Glücksrades und des

Todtentanzes verbindet.

~j ßibliotheque de l'ecole de Charles. Nov. p. 134.
 
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