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Österreich / Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale [Hrsg.]
Mittheilungen der K.K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale — 5.1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.21913#0249
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— 244

eingehende Beachtung zu schenken, wie den Werken der Architectur
oder jenen der Malerei und Goldschmiedekunst, da erstere, abgesehen
von ihrer Bedeutung für die historisch-genealogische Forschung und
die Geschichte der ßildnerei, für das Studium des Costümes von
grösster Wichtigkteit sind. Aus diesem Grunde theilen wir mit Rück-
sicht auf die überwiegend archäologische Richtung des Alterthuins-
vereines nicht ganz den Standtpunkt des Verfassers. Letzterer berück-
sichtigt nämlich die in den Kirchen vorhandenen Grabdenkmale mehr
nach ihrer genealogischen als archäologischen Bedeutung und zieht
in den Kreis seines Studiums fast alle in einer Kirche vorhandenen
Grabdenkmale. Nach unserem Geschmacke würden wir uns darauf
beschränken, die Grabdenkmale der romanischen und gothischen
Kunstepoche von Nieder-Osterreich eingehend zu beschreiben und
daran jene sachlichen Bemerkungen knüpfen, welche für Kunst und
Culturgeschichte von wesentlichem Nutzen sind. Dass es hieran nicht
an interessanten Monumenten mangelt, liefern eben die abgebildeten
Grabsteine der Pfarrkirche zu Wiener-Neustadt, der Kirche zu Ybbs
und der Karthause zu Aggsbach, die für die angedeutete Richtung
eine ergiebige Ausbeute gewähren.

Der vierte Band der Publicationen umfasst die Herausgabe des
Grossen Altaraufsatzes im Stifte Klosterneuburg, aufge-
nommen und dargestellt von Albert Cam e si na, beschrieben und
erläutert von Dr. Gustav Hei der. Es ist keine Frage, dass die Ver-
öffentlichung dieses Kunstwerkes, welches wie kaum ein zweites den
gehobenen Kunstsinn und die tiefgläubige Anschauungsweise unserer
Vorfahren in grossen Zügen wie auch in einer Fülle von Einzeln-
heiten darlegt, ein grosses Verdienst des Wiener Alterthumsvereines
ist. Allerdings wurde schon vor ungefähr 16 Jahren der Verduner
Altar von A. Camesina in einer Prachtausgabe und mit einem erläu-
ternden Texte von Joseph Arneth herausgegeben; das Werk er-
schien jedoch, wenn wir nicht irren, nur in einer Auflage von circa
20 Exemplaren, kam nie im Buchhandel und blieb das Eigenthum ganz
exclusiver Kreise. Wenn daher Jemand daraufhinweisen wollte, dass
es die Aufgabe des Vereines ist, nur solche Kunstwerke abbilden und
in den Berichten und Mittheilungen erscheinen zu lassen, welche den
Künstlern und Kunstfreunden neu oder ganz unbekannt sind, so hat
dies wohl auch auf den Verduner Altar Anwendung und es wäre
Thorheit, dies bestreiten zu wollen, weil eine kostspielige Pracht-
ausgabe für einige Auserwählte bereits erschienen ist. Nebstdem hat
die kunsthistorische Forschung seit zehn Jahren solche Fortschritte
gemacht, dass das Studium eines so bedeutenden Kunstwerkes wie
der Verduner Altar gewiss zu neuen wichtigen Resultaten führen muss.
Und in der That liegen auch in der Abhandlung des Dr. G. Hei der eine
Reihe solcher fruchtbarer Resultate vor. So stellt sich aus einem Ver-
gleich des Verduner Altares mit anderen ähnlichen und bis jetzt be-
kannten Werken in Europa immer bestimmter die Thatsache heraus,
dass Ersterer das bedeutendste Email werk aus der Periode
des Romanismus ist. Über die elegante und eigentümliche Tech-
nik des Kunstwerkes gibtHeider grossentheils neue und sichere Auf-
schlüsse und hat seine bereits im Jahre 1858 gedruckt erschienene
Abhandlung über die Entwickelung des Emails im Mittelalter umge-
arbeitet und wesentlich erweitert. In Bezug auf die Anfertigung des
Verduner Altares ergibt sich daraus die Thatsache, dass derselbe aus
der rheinis c h en Schule hervorgegangen und hiermit einen wich-
tigen Beleg für die Bliithe der Emailkunst in Deutschland im Laufe des
XII. Jahrhunderts liefert. Damit verliert aber auch der einst so lebhaft
geführte Streit über die Deutung der Inschrift an Bedeutung. Ob
die Bezeichnung: Quod Nicolaus opus Virdunensis fabricavit dahin zu
verstehen ist, dass der Altar aus Verdun stamme oder von Nikolaus
aus Verdun im Stifte Klosterneuburg angeferligt worden sei, ist nicht

mehr entscheidend für die Charakteristik des Altarwerkes. Seine
künstlerische Bildung hat Nikolaus aus Verdun .unzweifelhaft aus jener
Schule erhalten, der auch jene Künstler entstammten, die Abt Suger
einige Jahrzehnte früher nach St. Denis berufen hat, und welche als
die rheinische Emailschule bekannt ist. Noch in einer anderen Rich-
tung enthält die Abhandlung He i d er’s für das Studium der Archäologie
neue, sehr interessante und belehrende Aufschlüsse. Der Altaraufsatz,
bestehend aus einem breiten von zwei schmäleren Flügeln umgebenen
Mitteltheile, umfasst drei Reihen von je 17 Tafeln, somit im Ganzen
51 Tafeln, von denen jeder Flügel 12, der Mitteltheil 27 enthält. Die
oberste und unterste Reihe enthalten solche Darstellungen aus dem
alten Testamente, welche als Typen der in der mittleren Reihe ange-
brachten aus dem Leben Jesu angesehen werden können, und zwar
sind die Darstellungen der ersten Reihe dem Zeiträume vor der Ge-
setzgebung Moses: Ante legem, jene der untersten Reihe dem Zeit-
räume der Herrschaft dieser Gesetzgebung : Sub lege entnommen,
während die mittlere Bilderreihe die Zeit des Heils und der Gnade:
sub Gracia vorführt. Je drei Bilder übereinander bilden eine typologi-
sche Gruppe, deren im Ganzen fünfzehn sind, da die beiden letzten
Reihen von sechs Bildern aus diesem typologischen Kreise heraustre-
ten und in zwei Gruppen für sich Darstellungen aus der Zukunft des
Reiches Gottes enthalten. Dass die hier beobachtete Zusammenstellung
der alttestamentarischen Begebenheiten mit den neutestamenllichen
nichts Zufälliges oder Willkürliches ist, geht zwar schon aus einer
gleichzeitigen Inschrift hervor, welche an dem Altarwerkein horizon-
taler Stellung angebracht ist, aber Hei der ist bemüht, den geistigen
Zusammenhang der einzelnen Gruppen des Verduner Altares an der
Hand der Kirchenschriftsteller darzulegen, die leitenden Grundgedan-
ken ins Auge zu fassen , aus denen sich diese Bilderreihen entwickel-
ten, und die verschiedenen typologischen Bilderkreise nachzuweisen,
die im Verlaufe des Mittelalters auf dem Gebiete der Kunst zur Gel-
tung kamen. Von diesem Gesichtspunkte aus gewährt abermals der
Verduner Altar ein hervorragendes Interesse, weil er das bisher be-
kannte älteste Kunstwerk ist, auf welchem sich ein typologi-
scher Bilder kr eis in einem festen zusammenhängenden
Cyklus vorfindet. Für die Erkenntniss des inneren geistigen Zusam-
menhanges der mittelalterlichen Typen hat daher Heid er in der vor-
stehenden Abhandlung wirklich neue Grundlagen geschaffen und die
archäologische Forschung auf einem Gebiete erweitert, das von
schwankenden und irrigen Vorstellungen erfüllt war. Es ergibtsich dies
aus der scharfen Zurechtweisung, die sich Dr. Förster in der vor-
liegenden Abhandlung von Heider über seinen —den Verduner Altar,
betreffenden Aufsatz der „Denkmale deutscher Baukunst, Bildnerei
und Malerei“ gefallen lassen muss. Für einen Schriftsteller von so
ausgebreitetem Rufe wie Dr. Förster bleibt es immerhin nicht zu
entschuldigen, wenn er sich des Leichtsinns und der Willkür in
Auffassung und Darstellung beschuldigen lassen muss.

Was nun den artistischen Theil der Publication, d. i. die von
Herrn A. Camesina gelieferten 31 lithographischen Tafeln und die
beigegebene Mustertafel in Farben anbelangt, so ist bekannt, wie gewis-
senhaft und getreu, mit welch seltenem Verständnisse Herr Ca m es i n a
bei der Reproduction mittelalterlicher Kunstwerke verfährt. All diese
nicht zu unterschätzenden Vorzüge finden sich auch bei dieser Arbeit
vereinigt und nichts stört den Eindruck einer charakteristischen Wie-
dergabe der verschiedenen Vorstellungen, insoweit dies bei Publication
eines Emailwerkes auf lithographischem Wege und ohne Anwendung
von Farben möglich ist. Zu bedauern bleibt es nur, dass dem Werke
nicht eine Übersichtstafel beigegeben ist, wodurch das Verständniss
der Anordnung der Tafeln erleichtert worden wäre.

K. Weiss.

Aus der k. k. Hof- und Staatsdruckerei.
 
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