311
Dem eilften Jahrhundert werden zugeschrieben:
a) Der siebenarmige Leuchter in der Münsterkirche
zu Essen *)> mit einem gegen den decorativen Reichthum
des Lichtbaumes 1 2) auffallend einfachen Fuss, an dessen
oberen Kanten vier verstümmelte Figuren: Oriens, Aquilo,
Occidens (und Auster) sitzen. Mit Ausnahme dieser kleinen,
vielleicht erst einer späteren Zeit angehörigen Figuren
zeigt der Essener Leuchter an seinen zahlreichen Knäufen
nur Pflanzenornamente, deren Reichthum und vollendete
Schönheit allerdings dem Schluss des XII. Jahrhunderts
besser entspricht als der Stiftungszeit aus den ersten Jahren
des XI. Jahrhunderts durch die Äbtissin Mathilde, eine
Enkelin Otto’s des Grossen3). Trotz dieses scheinbaren
Wid erspruches zwischen dem Style und der gewöhnlichen
Altersbestimmung müssen wir dennoch vorläufig an der
letzteren festhalten, in Erwägung, wie unstatthaft es sei,
hei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse für die
einzelnen Perioden Durchschnittsstyle der decorativen Kunst
anzunehmen.
b) Die Bernwardsleuchter in der Magdalenen-
kirche zu Hildesheim 4). Das Fussgestell zieren nackte,
jugendliche Gestalten, welche rittlings auf zweiköpfigen
Drachen sitzen und wie es scheint flüchtige, gegen den
Leuchter anstrebende Tliiere zu haschen suchen. An der
Röhre schlängelt sich ein Ornamentband hin, belebt durch
weidende Schafe, traubennaschende Knaben und Vögel.
Über dem obersten mit Masken geschmückten Knaufe be-
merken wir gleichfalls Tliiere (Eidechsen ?) emporgerich-
teten Leibes, deren Köpfe über den Rand des Leuchter-
tellers sich recken.
c) Aus der Sammlung D u g u e1 s veröffentlichte
Ma rtin 5) einen Leuchter, welchen er noch in das XI. Jahr-
hundert setzt. Ein geschuppter Drache mit einem Doppel-
kopfe, von welchen der eine als Ständer dient, der andere
gewaltsam zurückgebogen ist, bedroht das Bein eines
zwischen den Ranken des Leuchters sitzenden, unbärtigen
Mannes.
d) In der Erzdiöcese München-Freisingen befinden
sich noch fünf romanische Leuchter, von welchen einer zu
Klosterau am Inn, dem XI. Jahrhunderte angehörig, von
Sighart 6) in folgender Weise beschrieben wird: „Der
aus Kupfer gefertigte und ehemals vergoldete Leuchter
1) Organ für christliche Kunst 1832. No. 3. Weerth, Kunstdenkmale in den
Rheinlanden 11. Taf. XXVIII.
2) An diese zweigförmige Ausbreitung der Lichterträger dachte der heilige
Bernhard als er schrieb (Apolog. ad Guill. abb. c. 12): „Cornimus et pro
candelabris arbores quasdam erectas multoaeris pondere“, und ihre über-
mässige Pracht rügte.
3) Auf die Styl Verschiedenheiten am Essener Leuchter hat bereits Didro n
im Jahrgange 1831 seiner Annales aufmerksam gemacht.
4) Kratz, Der Dom zu Hildesheim, Bd. 11. S. 31. Abbildung T. IV. F. 2.
Abbildung und Beschreibung sind gleichmässig ungenügend.
5) Melanges d’Archeologie t. 1. pl. 16.
6) Sighart, Die mittelalterliche Kunst in der Erzdiöcese München-Frei-
sing. S. 209.
erhebt sich auf drei Füssen, hat einen kräftigen Nodus und
ist mit merkwürdigen Emailen geschmückt. Während
nämlich der Schaft von zierlichen Pflanzenornamenten um-
rankt ist, sehen wir am Nodus einen mächtigen Hahn ein -
herschreiten, am Fussgestell aber einen Helden, der gegen
zwei Löwen mit Schild und Schwert sich vertheidigt.
e) Von einem zweiten Leuchter, an derselben Stätte
bewahrt, gibt Sighart J) eine Abbildung, lässt aber das
Alter unbestimmt. Als Ständer dienen kurzgeflügelte
Drachen. Dieselben Geschöpfe bilden die Hauptglieder des
Fussgestelles, sie erscheinen durch Ranken verbunden,
werden von Schlangen bedroht und von bartlosen, beklei-
deten Gestalten geritten. Einander zugekehrte Vögelpaare
und Pflanzenornamente schmücken den Schaft, während
lichtfreundliche Eidechsen am Rande des Leuchtertellers
emporkleftern. Nach unserem Stylgefühle würden wir dieses
Werk dem XII. Jahrhundert zuschreiben, aus welcher
Periode überhaupt die Mehrzahl der uns noch erhaltenen
Ceroferarien stammt.
An die Spitze der späteren romanischen Leuchter
muss nothwendig gestellt werden
f) der Leuchterfuss im Prager Dorne 2). Die genaue
Beschreibung, welche K. Weiss a. a. 0. von diesem merk-
würdigen Fragmente gibt, gestattet uns, den künstlerischen
Schmuck kurz anzudeuten. Wir heben nur an den Ecken
des dreiseitigen Fusses die nackten Drachenreiter hervor,
die ihre Hand in den Rachen eines sie im Rücken bedrohen-
den Löwen stecken, während auf den Breitflächen sitzende,
bekleidete Gestalten dargestellt sind, deren Beine gleich-
falls von Drachen angegriffen werden. In den Händen halten
sie theils Zweige, tlieils wehren sie mit dem Ausdrucke
sicherer Überlegenheit die Ungethiime ab.
*) Ebend. S. 210 u. t. VII. Von zwei romanischen Lenchtern im Chore der
Kirche zu Fürstenfeld wird nur flüchtig' die „zierliche Darstellung
eines Drachenkampfes“ erwähnt.
2) K. Weiss im ersten Bande der mittelalterl. Kunstdenkmale des öster-
reichischen Kaiserstaates. S. 197 u. T. XXXV. Vgl. Monatschrift des böh-
mischen Museums 1828. Juliheft. S. 37, und Ambros, Der Dom zu Prag,
S. 277. Auf die Widersprücke in der Erzählung, wie dieses kirchliche
Kleinod erworben wurde, hat bereits Dobrowsky in der Museums-
zeitschrift aufmerksam gemacht. Es stimmen aber nicht allein die histo-
rischen Thatsachen nicht unter einander, auch der Styl des Werkes lässt
sich mit jener schwer in eine organische Verbindung' bringen. Zuerst,
wenn wir nicht irren , von Dalemii am Anfänge des vierzehnten Jahrhun-
derts erwähnt und schon damals mit Jtönig' Wladislaw und der Eroberung
Mailands 1162 in Zusammenhang gesetzt, wurde diese Tradition bisher
noch nirgends angefochten. Wenn der Leuchter aber in der That aus
Mailand im zwölften Jahrhundert geholt wurde und schon den Mailändern
als Jerusalemischer Leuchter galt, wie reimt man damit zusammen, dass
der Styl des Werkes als seine Entstehungszeit mit „ziemlicher Bestimmt-
heit die zweite Hälfte des zwölften Jahrhunderts“ angibt? An einer
zeitgenössischen Arbeit konnte sich doch schwer die Tradition Salomo-
nischen Ursprunges heften? Täuschten die Mailänder sich und Andere,
oder täuschen wir uns und schreiben der ersten Renaissance der Antike
im zwölften Jahrhundert ein Werk zu, das in Wirklichkeit der spätest
römischen Zeit angehört? Das Costüm wenigstens spricht nicht für das
zwölfte Jahrhundert. Über das Schicksal des echten Jerusalemischen
Leuchters vergleiche Augusti, Beiträge zur christl. Kunstgeschichte
Dem eilften Jahrhundert werden zugeschrieben:
a) Der siebenarmige Leuchter in der Münsterkirche
zu Essen *)> mit einem gegen den decorativen Reichthum
des Lichtbaumes 1 2) auffallend einfachen Fuss, an dessen
oberen Kanten vier verstümmelte Figuren: Oriens, Aquilo,
Occidens (und Auster) sitzen. Mit Ausnahme dieser kleinen,
vielleicht erst einer späteren Zeit angehörigen Figuren
zeigt der Essener Leuchter an seinen zahlreichen Knäufen
nur Pflanzenornamente, deren Reichthum und vollendete
Schönheit allerdings dem Schluss des XII. Jahrhunderts
besser entspricht als der Stiftungszeit aus den ersten Jahren
des XI. Jahrhunderts durch die Äbtissin Mathilde, eine
Enkelin Otto’s des Grossen3). Trotz dieses scheinbaren
Wid erspruches zwischen dem Style und der gewöhnlichen
Altersbestimmung müssen wir dennoch vorläufig an der
letzteren festhalten, in Erwägung, wie unstatthaft es sei,
hei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse für die
einzelnen Perioden Durchschnittsstyle der decorativen Kunst
anzunehmen.
b) Die Bernwardsleuchter in der Magdalenen-
kirche zu Hildesheim 4). Das Fussgestell zieren nackte,
jugendliche Gestalten, welche rittlings auf zweiköpfigen
Drachen sitzen und wie es scheint flüchtige, gegen den
Leuchter anstrebende Tliiere zu haschen suchen. An der
Röhre schlängelt sich ein Ornamentband hin, belebt durch
weidende Schafe, traubennaschende Knaben und Vögel.
Über dem obersten mit Masken geschmückten Knaufe be-
merken wir gleichfalls Tliiere (Eidechsen ?) emporgerich-
teten Leibes, deren Köpfe über den Rand des Leuchter-
tellers sich recken.
c) Aus der Sammlung D u g u e1 s veröffentlichte
Ma rtin 5) einen Leuchter, welchen er noch in das XI. Jahr-
hundert setzt. Ein geschuppter Drache mit einem Doppel-
kopfe, von welchen der eine als Ständer dient, der andere
gewaltsam zurückgebogen ist, bedroht das Bein eines
zwischen den Ranken des Leuchters sitzenden, unbärtigen
Mannes.
d) In der Erzdiöcese München-Freisingen befinden
sich noch fünf romanische Leuchter, von welchen einer zu
Klosterau am Inn, dem XI. Jahrhunderte angehörig, von
Sighart 6) in folgender Weise beschrieben wird: „Der
aus Kupfer gefertigte und ehemals vergoldete Leuchter
1) Organ für christliche Kunst 1832. No. 3. Weerth, Kunstdenkmale in den
Rheinlanden 11. Taf. XXVIII.
2) An diese zweigförmige Ausbreitung der Lichterträger dachte der heilige
Bernhard als er schrieb (Apolog. ad Guill. abb. c. 12): „Cornimus et pro
candelabris arbores quasdam erectas multoaeris pondere“, und ihre über-
mässige Pracht rügte.
3) Auf die Styl Verschiedenheiten am Essener Leuchter hat bereits Didro n
im Jahrgange 1831 seiner Annales aufmerksam gemacht.
4) Kratz, Der Dom zu Hildesheim, Bd. 11. S. 31. Abbildung T. IV. F. 2.
Abbildung und Beschreibung sind gleichmässig ungenügend.
5) Melanges d’Archeologie t. 1. pl. 16.
6) Sighart, Die mittelalterliche Kunst in der Erzdiöcese München-Frei-
sing. S. 209.
erhebt sich auf drei Füssen, hat einen kräftigen Nodus und
ist mit merkwürdigen Emailen geschmückt. Während
nämlich der Schaft von zierlichen Pflanzenornamenten um-
rankt ist, sehen wir am Nodus einen mächtigen Hahn ein -
herschreiten, am Fussgestell aber einen Helden, der gegen
zwei Löwen mit Schild und Schwert sich vertheidigt.
e) Von einem zweiten Leuchter, an derselben Stätte
bewahrt, gibt Sighart J) eine Abbildung, lässt aber das
Alter unbestimmt. Als Ständer dienen kurzgeflügelte
Drachen. Dieselben Geschöpfe bilden die Hauptglieder des
Fussgestelles, sie erscheinen durch Ranken verbunden,
werden von Schlangen bedroht und von bartlosen, beklei-
deten Gestalten geritten. Einander zugekehrte Vögelpaare
und Pflanzenornamente schmücken den Schaft, während
lichtfreundliche Eidechsen am Rande des Leuchtertellers
emporkleftern. Nach unserem Stylgefühle würden wir dieses
Werk dem XII. Jahrhundert zuschreiben, aus welcher
Periode überhaupt die Mehrzahl der uns noch erhaltenen
Ceroferarien stammt.
An die Spitze der späteren romanischen Leuchter
muss nothwendig gestellt werden
f) der Leuchterfuss im Prager Dorne 2). Die genaue
Beschreibung, welche K. Weiss a. a. 0. von diesem merk-
würdigen Fragmente gibt, gestattet uns, den künstlerischen
Schmuck kurz anzudeuten. Wir heben nur an den Ecken
des dreiseitigen Fusses die nackten Drachenreiter hervor,
die ihre Hand in den Rachen eines sie im Rücken bedrohen-
den Löwen stecken, während auf den Breitflächen sitzende,
bekleidete Gestalten dargestellt sind, deren Beine gleich-
falls von Drachen angegriffen werden. In den Händen halten
sie theils Zweige, tlieils wehren sie mit dem Ausdrucke
sicherer Überlegenheit die Ungethiime ab.
*) Ebend. S. 210 u. t. VII. Von zwei romanischen Lenchtern im Chore der
Kirche zu Fürstenfeld wird nur flüchtig' die „zierliche Darstellung
eines Drachenkampfes“ erwähnt.
2) K. Weiss im ersten Bande der mittelalterl. Kunstdenkmale des öster-
reichischen Kaiserstaates. S. 197 u. T. XXXV. Vgl. Monatschrift des böh-
mischen Museums 1828. Juliheft. S. 37, und Ambros, Der Dom zu Prag,
S. 277. Auf die Widersprücke in der Erzählung, wie dieses kirchliche
Kleinod erworben wurde, hat bereits Dobrowsky in der Museums-
zeitschrift aufmerksam gemacht. Es stimmen aber nicht allein die histo-
rischen Thatsachen nicht unter einander, auch der Styl des Werkes lässt
sich mit jener schwer in eine organische Verbindung' bringen. Zuerst,
wenn wir nicht irren , von Dalemii am Anfänge des vierzehnten Jahrhun-
derts erwähnt und schon damals mit Jtönig' Wladislaw und der Eroberung
Mailands 1162 in Zusammenhang gesetzt, wurde diese Tradition bisher
noch nirgends angefochten. Wenn der Leuchter aber in der That aus
Mailand im zwölften Jahrhundert geholt wurde und schon den Mailändern
als Jerusalemischer Leuchter galt, wie reimt man damit zusammen, dass
der Styl des Werkes als seine Entstehungszeit mit „ziemlicher Bestimmt-
heit die zweite Hälfte des zwölften Jahrhunderts“ angibt? An einer
zeitgenössischen Arbeit konnte sich doch schwer die Tradition Salomo-
nischen Ursprunges heften? Täuschten die Mailänder sich und Andere,
oder täuschen wir uns und schreiben der ersten Renaissance der Antike
im zwölften Jahrhundert ein Werk zu, das in Wirklichkeit der spätest
römischen Zeit angehört? Das Costüm wenigstens spricht nicht für das
zwölfte Jahrhundert. Über das Schicksal des echten Jerusalemischen
Leuchters vergleiche Augusti, Beiträge zur christl. Kunstgeschichte