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den Vierungsturm, die Säule als Langhausstüße, das Fehlen eines Westchors und dafür
die Anordnung des Haupteingangs in der Mitte der westlichen Stirnseite zwischen einem
Turmpaar; dieser Fassadentypus leitet weiter nach Straßburg, wo er an dem 1015 begonnenen
romanischen Vorläufer des jetzigen Münsters zuerst auf deutschem Boden auftritt. Zusammen
mit dem Kapitell erweisen diese aufgezählten Stücke der Aureliuskirche ihren Zusammenhang
mit der Kunstweise, die im 11. Jahrhundert am Oberchein, d. h. im Elsaß und der heutigen
Pfalz, heimisch war. Das entspricht durchaus der geographischen und kulturgeschichtlichen
Lage. Denn für das in Franken hart an der schwäbischen Grenze gelegene Schwarzwald-
kloster war die Gegend von Straßburg, Speier und Limburg die nächstgelegene Landschaft
mit hochentwickeltem Kunstleben. Zumal die Baukunst erlebte in diesem Teil des Rheintals
in dem der Gründung Hirsaus vorausgehenden halben Jahrhundert eine Zeit hoher Blüte
und großartigen Fortschreitens. Damals wurden die Dome von Straßburg, Speier und
Worms in den gewaltigen Abmessungen, die sie heute noch haben, neu aufgerichtet und auf
dem Gebiet des Klosterbauwesens erstand in dem Münster des von Kaiser Konrad II. ge-
stifteten falschen Familienklosters Limburg ein so herrliches Werk, daß es die Blicke der
Klosterbaumeister von nah und fern auf sich zog. Es ist demnach nur natürlich, daß auch
die Neugründung des Grafen von Calw in die Machtsphäre dieser Kunst geriet und der
Hirsauer Bau rheinische Farbe trägt.
Es machte sich bei St. Aurelius aber noch ein anderer Einfluß geltend. Als ich vor zehn
Jahren den Bau zum erstenmal näher behandelte^) und sein oberrheinisches Gepräge feststellte,
war mir die außerordentliche Ähnlichkeit seines Grundrisses mit dem des Münsters in Muri
noch nicht bekannt, auf die kürzlich Hans Christ (a. a. O. S. 182) verdienstvoll aufmerksam
gemacht hat. Muri im Aargau, 20 km südwestlich von Zürich, war ein um 1027 gegründetes
Priorat der einflußreichen Abtei Einsiedeln (südlich vom Züricher See); von Einsiedeln aber
stammte, wie wir gehört haben, die Hirsauer Mönchskolonie. Zwar fällt nach dem Lockex
IckirssuZ-. lol. 3 die Ankunft der Mönche in das Jahr 1065, die Grundlegung von St. Aurelius
aber schon in das Jahr 1059. Daraus darf jedoch nicht die bauliche Unabhängigkeit Hirsaus
von Einstedeln und seinem Kreis gefolgert werden, denn es ist nicht wahrscheinlich, daß
Graf Adalbert seinen Kirchenbau begann, ehe er mit Einsiedeln über die Bestiftung des
Klosters einig geworden war. In der Kirche von Muri läßt sich aus den späteren Um- und
Anbauten ein romanischer Kern von klarer, einheitlicher Anlage Herausstellen, dessen Grund-
plan schon eine Reihe von Jahren vor dem Datum der Weihe 1064 festgelegt gewesen sein
muß. Muri ist also etwas älter als St. Aurelius, die Grundrißübereinstimmung aber erstreckt
sich nicht nur auf die Ostteile mit ihrem quadratischen Schema des Querschiffes und Altar-
hauses und auf das Turmpaar an der westlichen Eingangsseite, sondern namentlich auch auf
das Schiff, für dessen altertümlich kurze, quadratische Form ich nur viel frühere Beispiele
anzuführen wußte, während jetzt in Muri eine annähernd gleichzeitige Analogie nachgewiesen
ist. Die Annahme eines von dem Stammkloster auf den Plan von St. Aurelius geübten
Einflusses ist daher unabweisbar.
Aber freilich: Muri zeigt außer mit St. Aurelius auch (wenn das Langhaus außer Betracht
bleibt) mit Limburg eine überraschende Übereinstimmung der Anlage. Der quadratische
9 Die beiden^Münster in Hirsau, 1915. S. 7 ff.

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