diejenige Form, die man als Hirsauer Schema oder Hirsauer Choranlage') zu bezeichnen
pflegt. Eine kluniazensische Quelle gibt über die Bestimmung der Nebenchöre folgende Aus-
kunft: „Die Brüder brauchen solche abgeschiedene Räume, wo sie Gott fleißig heilige und
geheime Gebetswohlgerüche anzünden, sich ost mit drei Geißeln den Leib schlagen und
mit solchem heiligen Tun wie Einsiedler fern vom Anblick der Menschen unausgesetzt sich
und die Ihrigen dem Herrn empfehlen können." Hier haben wir den ältesten Kerngedanken
des Mönchtums: Weltflucht zu betender Versenkung der Seele in Gott und zur Kasteiung
des Leibs. Diese Räume stellen eine aus dem innersten Bedürfnis des Mönchslebens heraus-
gewachsene Erweiterung des gewöhnlichen Gotteshauses dar. Die mönchische Idee hat hier
formbildend gewirkt. Die Nebenchöre sind das Merkmal, welche das Münster?) von der
Kathedrale und der Pfarrkirche unterscheidet. Die Entstehung dieser Räume offenbart uns
der Name, den sie führen: snz-uli membrorum, Winkel der Querhausflügel. Also nicht Neben-
chöre waren sie ursprünglich, nicht vom Chor (d. h. Presbyterium) sind sie abgezweigt, sondern
von den Querflügeln, den abgelegensten Teilen der Kirche. In Farfa hießen sie Krypten,
nicht im Sinn unterirdischer Kulträume, sondern in dem verborgener Gebetsstätten. Diesem
Zweck entsprach es, daß sie in der alten Kirche zu Kluni durch eine fortlaufende Mauer
vom Presbyterium getrennt waren. Aber die Entwicklung blieb dabei nicht stehen. In Burgund,
in der Normandie und wo sonst die kluniazensische Reform durchdrang, finden wir im 11. Jahr-
hundert die Scheidemauern in Doppelarkaden aufgelöst. Die Nebenchöre wurden dadurch
aus Querschiffkapellen zu Abseiten des Presbyteriums, das Ostende der Kirche wurde drei-
schiffig, künstlerisch zweifellos eine große Verbesserung; aber was man an Schönheit des
Raumbildes^) gewann, ging sozusagen an mönchischem Gehalt verloren^).
Im Ostarm standen der Hauptaltar und hinter ihm drei Nebenaltäre. Auch die Neben-
chöre, die Querhausflügel und die an den nördlichen Querflügel angeschlossene Sakristei waren
mit Altären ausgestattet.
Die bis zum kleinen Chor einschließlich reichende Osthälfte der Kirche blieb ganz den Mönchen
Vorbehalten, die durch eine bis zu 4 m hohe Quermauer oder Schranke abgetrennte West-
hälfte war für die Laienbrüder und die zu gewissen Zeiten des Tagesund der Nacht zugelassenen
Laien bestimmt; unmittelbar vor der Chorschranke stand für sie der Kreuzaltar.
Der geräumige Vorhof war nötig wegen des bei den Kluniazensern reich ausgebildeten
Prozessionswesens. Von der Vorhalle (atrium) zwischen den beiden Westtürmen hören wir,
„daß hier die Laien stehen mußten, damit sie den Prozessionen nicht im Weg waren".
Das neue Münster St. Peter und Paul in Hirsau 1082—1091
Nachdem Wilhelm sich für die Übernahme der kluniazensischen Gebräuche entschieden hatte,
holte er zuerst die fehlenden Nebenchöre an der Aureliuskirche nach, ein Anbau, der wie der
1) Schönstes Beispiel in Württemberg der Fünfapsidenchor der Veitskirche in Ellwangen.
2) Wenigstens das Großmünster, denn die nur mittelgroßen oder kleinen Bauten entbehren gewöhnlich der
Nebenchöre.
b) Vgl. die trefflichen Abbildungen aus dem hirsauischen Münster Gengenbach in Baden bei Christ Taf. 172 u. 173.
4) Dehio, Gesch. d. d. K. 1 S. 105, macht auf die Möglichkeit des Abschlusses der Nebenchöre durch Vor-
hänge aufmerksam. Vorhänge wurden in frühmittelalterlichen Kirchen viel verwendet (abgebildet z. B. auf den
Wandgemälden in St. Georg auf der Reichenau).
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pflegt. Eine kluniazensische Quelle gibt über die Bestimmung der Nebenchöre folgende Aus-
kunft: „Die Brüder brauchen solche abgeschiedene Räume, wo sie Gott fleißig heilige und
geheime Gebetswohlgerüche anzünden, sich ost mit drei Geißeln den Leib schlagen und
mit solchem heiligen Tun wie Einsiedler fern vom Anblick der Menschen unausgesetzt sich
und die Ihrigen dem Herrn empfehlen können." Hier haben wir den ältesten Kerngedanken
des Mönchtums: Weltflucht zu betender Versenkung der Seele in Gott und zur Kasteiung
des Leibs. Diese Räume stellen eine aus dem innersten Bedürfnis des Mönchslebens heraus-
gewachsene Erweiterung des gewöhnlichen Gotteshauses dar. Die mönchische Idee hat hier
formbildend gewirkt. Die Nebenchöre sind das Merkmal, welche das Münster?) von der
Kathedrale und der Pfarrkirche unterscheidet. Die Entstehung dieser Räume offenbart uns
der Name, den sie führen: snz-uli membrorum, Winkel der Querhausflügel. Also nicht Neben-
chöre waren sie ursprünglich, nicht vom Chor (d. h. Presbyterium) sind sie abgezweigt, sondern
von den Querflügeln, den abgelegensten Teilen der Kirche. In Farfa hießen sie Krypten,
nicht im Sinn unterirdischer Kulträume, sondern in dem verborgener Gebetsstätten. Diesem
Zweck entsprach es, daß sie in der alten Kirche zu Kluni durch eine fortlaufende Mauer
vom Presbyterium getrennt waren. Aber die Entwicklung blieb dabei nicht stehen. In Burgund,
in der Normandie und wo sonst die kluniazensische Reform durchdrang, finden wir im 11. Jahr-
hundert die Scheidemauern in Doppelarkaden aufgelöst. Die Nebenchöre wurden dadurch
aus Querschiffkapellen zu Abseiten des Presbyteriums, das Ostende der Kirche wurde drei-
schiffig, künstlerisch zweifellos eine große Verbesserung; aber was man an Schönheit des
Raumbildes^) gewann, ging sozusagen an mönchischem Gehalt verloren^).
Im Ostarm standen der Hauptaltar und hinter ihm drei Nebenaltäre. Auch die Neben-
chöre, die Querhausflügel und die an den nördlichen Querflügel angeschlossene Sakristei waren
mit Altären ausgestattet.
Die bis zum kleinen Chor einschließlich reichende Osthälfte der Kirche blieb ganz den Mönchen
Vorbehalten, die durch eine bis zu 4 m hohe Quermauer oder Schranke abgetrennte West-
hälfte war für die Laienbrüder und die zu gewissen Zeiten des Tagesund der Nacht zugelassenen
Laien bestimmt; unmittelbar vor der Chorschranke stand für sie der Kreuzaltar.
Der geräumige Vorhof war nötig wegen des bei den Kluniazensern reich ausgebildeten
Prozessionswesens. Von der Vorhalle (atrium) zwischen den beiden Westtürmen hören wir,
„daß hier die Laien stehen mußten, damit sie den Prozessionen nicht im Weg waren".
Das neue Münster St. Peter und Paul in Hirsau 1082—1091
Nachdem Wilhelm sich für die Übernahme der kluniazensischen Gebräuche entschieden hatte,
holte er zuerst die fehlenden Nebenchöre an der Aureliuskirche nach, ein Anbau, der wie der
1) Schönstes Beispiel in Württemberg der Fünfapsidenchor der Veitskirche in Ellwangen.
2) Wenigstens das Großmünster, denn die nur mittelgroßen oder kleinen Bauten entbehren gewöhnlich der
Nebenchöre.
b) Vgl. die trefflichen Abbildungen aus dem hirsauischen Münster Gengenbach in Baden bei Christ Taf. 172 u. 173.
4) Dehio, Gesch. d. d. K. 1 S. 105, macht auf die Möglichkeit des Abschlusses der Nebenchöre durch Vor-
hänge aufmerksam. Vorhänge wurden in frühmittelalterlichen Kirchen viel verwendet (abgebildet z. B. auf den
Wandgemälden in St. Georg auf der Reichenau).
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