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Meyer, Gustav [Hrsg.]
Lehrbuch der schönen Gartenkunst: mit besonderer Rücksicht auf die praktische Ausführung von Gärten und Parkanlagen — Berlin, 1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.19763#0014
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E i n 1 e i t u n g.

Obwohl der Zweck der Gürten, welche der Mensch nach Erreichimg
einer gewissen Kulturstufe bei der Wohnung sich einrichtet, überall ein
und derselbe ist, neinlich durch klimatische Behaglichkeit, Bequemlichkeit
und angenehme Unterhaltung vermittelst sinniger Auswahl und schöner
Anordnung ansprechender Natur- und Kunstgegenstände zu seiner Er-
holung im Freien zu dienen, so weichen sie in ihrer Einrichtung und
ästhetischen Wirkung nach Mafsgabe des Klima, und des durch religiöse
Anschauungen, Sitten, Gewohnheiten, Gebräuche und Naturgefühl der
Völker geleiteten Geschmackes dennoch sehr wesentlich von einander ab.

Der Einflufs des Klima macht sich in der Anwendung eines besonderen,
ihm entsprechenden Baustyles, in der Verwendung gewisser ihm eigen-
tümlicher Pflanzen und in der Anordnung derselben entweder zu gleich-
mäßig schattigen , oder mit sonnigen und schattigen Stellen mannigfach
abwechselnden Spaziergängen geltend. In Persien und Aegypten z. B. ist
eine gleichmäßige Beschattung der Wege und hiermit die alleeförmige
Pflanzungsart nothwendig und unentbehrlich, während das Klima Englands
nicht nur das Gegentheil zuläfst, sondern es sogar zum Theil bedingt.

Entscheidend für die Anordnung der Gärten ist daher die aus dem
Verhalten des Klima hergeleitete Absicht, ob man das Freie, wie es in
heifsen Gegenden der Fall ist, vorzugsweise im Zustande der Ruhe ge-
niefsen will, oder ob dabei, wie in den nördlichen Gegenden, hauptsächlich
Gelegenheit zur Bewegung und zu weiteren Spaziergängen gewünscht wird.
Im ersteren Falle wird sich ein mäfsig grofser und regelmäfsig ein-
getheilter Raum mit Alleen, mit vielen schattigen von süss duftenden
Blumen umgebenen Sitzen und mit einer Mannigfaltigkeit an sich schöner
Natur- und Kunstgegenstände in leicht fafslicher, und daher regelmäfsiger
Anordnung als das Zweckmäfsigste darstellen; in letzterem Falle jedoch,
wo ein »idealisirter Spaziergang« und eine successive Entwicklung und
Auffassung der Anordnung gewünscht wird, ist es geradezu umgekehrt:
hier wird gröfsere Ausdehnung und unregelmäfsige Anordnung zur Be-
dingung.

Die Einwirkung des Geschmackes auf die Anordnung zeigt sich vor-
nemlich in der Vorliebe für gewisse Kunst- und Naturgegenstände und
in deren hervorstechender Verwendung, wie auch in der Ausbildung eines
eigenthümlichen Formensystems. So hängt z. B. mit dem Geschmack des
Orientalen, und speciell mit seinen religiösen Anschauungen, die Vorliebe
für die an Feuerflamnien erinnernde Cypresse und deren zahlreiche An-
pflanzung, die Ausschliefsung von Statuen und dagegen die häufige An-
wendung der Arabeske, und mit seinem Naturgefühl die Hinneigung zum
Phantastischen, zu sinnenberauschender Farbenpracht, betäubendem Dufte
und zu üppigem Genüsse zusammen.

Die Gärten sind daher der allgemeinen Form oder Anordnung nach
entweder regelmäfsig, und gehören dem geometrischen Style,
oder sie sind unregelmäfsig, und gehören dem natürlichen oder
Landschaftsstyle an. In den heifsen Klimaten ist die regelmäfsige
Anordnung die allein gebräuchliche; in den gemäfsigteren dagegen, wo
der Spaziergang Bedürfnil's ist, wird ihr nur der Theil unmittelbar um
die Wohnung eingeräumt; und zwar nicht nur deswegen, weil hier vor-
zügliche Bequemlichkeit und möglichst erleichterte Auffassung und Ueber-
sichtlichkeit eine regelmäfsige Anordnung wünschenswert]! machen, sondern

auch weil es der Anschlufs an die regelmäfsige Gestalt des Gebäudes
den ästhetischen Grundsätzen zufolge bedingt.

Innerhalb des geometrischen Styles unterscheiden wir nach den
Völkern, deren eigenthümliche Geschmacksrichtung sich in ihren Gärten
bestimmt ausgeprägt hat, einen arabischen oder maurischen, einen
römischen oder italienischen, einen französischen und einen
holländischen Styl, und innerhalb des natürlichen Styles einen
chinesischen und einen englischen Styl.

Da der Ursprung dieser Stylarten oder Geschmacksrichtungen kein
zufälliger, sondern ein in dem Klima, in der besonderen Naturumgebung,
in der Völkerindividualität und Erziehung begründeter ist, so mufsten sie
bei den betreffenden Völkern sich so lange erhalten, als die bedingenden
Ursachen nicht modificirt wurden; dahingegen sie in denjenigen Gegenden
und von dem Zeitabschnitte an, wo diese Ursachen eine wesentliche Ab-
änderung erlitten, modificirt oder von anderen Stylarten verdrängt wurden.

Unter den Völkern des gemäfsigten Europa haben sich denn auch
bei ziemlich gleich vorgeschrittener Bildung und begünstigt unter dem
Einflüsse eines ziemlich gleichen Klima die Unterschiede in dem früher
bestandenen Gartengeschmack fast ausgeglichen. Anfänglich hat hierbei
die Mode, welche meist eine Nachahmung ohne Prüfung auf Zweck-
mäfsigkeit ist und bei denjenigen Völkern, welche einen lebhaften Verkehr
miteinander unterhalten, leicht Eingang findet, mitgewirkt; sie hat zuerst
den französischen und holländischen und sodann den englischen Styl über
den gröfseren Theil Europa's verbreiten helfen; jedoch ist dieser Wechsel
in den Stylarten und zuletzt die allgemeine Verbreitung des englischen
Styles hauptsächlich eine Folge des Austausches der Ideen in Kunst und
Wissenschaft unter den Völkern Europa's, wodurch der Geschmack ge-
läutert worden und allgemein giltige ästhetische Grundsätze an die Stelle
der Mode, der Willkür und des individuellen Geschmackes getreten sind,
sodafs die neueren Gärten dieser Völker weder eine blofse Nachahmung
des ursprünglich italienischen, französischen, holländischen oder englischen
Styles, noch eine blofse Vereinigung oder Mischung derselben sind, son-
dern einen besonderen Styl bezeichnen. Man gebraucht für diesen, auf
ästhetischen Grundsätzen basirenden, der Neuzeit angehörigen Styl, wo
unter anderem die regelmäfsige mit der unregelmäfsigen Anordnung in ein
und demselben Ganzen sich vereinigt findet, den Ausdruck neuerer oder
moderner Styl.

Die Kunst hat sich auf dem Gebiete der Architektur und Skulptur
viel früher mit Erfolg versucht, als in der Anlage eigentlicher Kunst-
gärten, weil dein Menschen das Verständnifs oder das Gesetz der archi-
tektonischen wie der eigenen Schönheit viel näher liegt, als das der
Naturschönheit. Daher konnte auch die Gartenkunst — wie die Land-
schaftsmalerei — erst von da ab, wo die Naturwissenschaften begannen
den bis dahin undurchdringlichen Schleier von der Natur zu lüften und
der Mensch mit dem wachsenden Verständnifs ihres Innern ihre Schönheit
höher empfand und sie aufsuchte!. also in der neueren Zeit, zur selbst-
ständigen Kunst sich entwickeln. Bis hierher aber bildete sie überall
einen Zweig der Architektur. deren Gesetzen sie sich zu fügen hatte,
und von welcher die architektonische Form zum herrschenden Ideal
eines Gartens erhoben wurde.

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