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Meyer, Gustav [Hrsg.]
Lehrbuch der schönen Gartenkunst: mit besonderer Rücksicht auf die praktische Ausführung von Gärten und Parkanlagen — Berlin, 1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.19763#0027
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31

Der französische Gartenstyl.

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Motive zu den bei Lenötre neu auftretenden Sternalleen, Kanälen, ellip-
tischen Treppenaufgängen und eigenthümlichen Lineamenten der Bassins
und der Cascaden enthalten, auch außerordentlich viel Heckenwerk be-
sitzen, spricht dafür, dafs Lenötre aus italienischen Vorbildern geschöpft
hat. Er verarbeitete nur die Formen mehr im französischen Renaissanee-
und Roccocostyl, und hat durch Beseitigung alles Kleinlichen, wie durch

ausgedehnte Gröfsenverhältnisse, seinen Werken den Stempel der Grofs-
artigkeit aufgedrückt.

Er fand aufserordentlieh viel Abgeschmacktheiten in den französischen
Gärten vor, welche zu beseitigen waren, denn Frankreich hatte alle Ver-
irrungen der italienischen Gartenkunst aufgenommen und zum Theil noch
gesteigert. Es war daher auch

der französische Gartenstyl

und der Zustand der französischen Gärten um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts dem Italiens sehr ähnlich; die Gärten waren mit Gegenständen
überfüllt, welche dem Besucher von den witzigen und launenhaften Ein-
fällen des Besitzers Kenntnifs geben und Ueberraschung und Verwunderung
abnöthigen sollten. Von einer nach ästhetischen Grundsätzen geschehenen
Anordnung war nirgends etwas zu entdecken.

In dieser Rücksicht giebt uns Evelyn, welcher den Garten der Tui-
lerien, St. Germain, Cardinal Richelieu's Villa zu Ruell, die Gärten des
Luxembourg, den Palast des Grafen Liancourt u. m. a. im Jahre 1644
besuchte, sehr schätzbare Notizen. »Der. Garten der Tuilerien — bemerkt
er —■ ist vortrefflich für Einsamkeit, Schatten und Geselligkeit angelegt,
wegen seiner Haine und grofsen Bäume, besonders derjenigen in der Mitte,
der Ulmen und Maulbeeren. Es ist hier ein Labyrinth von Cypressen,
Granathecken, Springbrunnen, Fischweihern und einem Vogelhause. Ein
künstliches Echo wiederholt die Worte deutlich, nie fehlt es an einer
schönen singenden Nymphe daselbst. Steht man auf der rechten Stelle
unter einem Baume, so meint man die Stimme stiege aus den Wolken
herab; auf einer andern scheint sie aus der Erde hervorzutönen. In einer
andern Abtheilung des Gartens sind eine unvergleichliche Orangerie, künst-
liche Sträucher und seltene Früchte, gleich als wäre man im Paradies. «

Hohe beschnittene Hainbuchenhecken — Alleen und Schirme von

Bühne so eingerichtet war, dafs aus leichten Brettern geschnittene Fi-
guren, die von darunter stehenden Personen regiert wurden, sich darauf
bewegten, und die Personen statt ihrer sprachen und sangen. —

Nicht viel besser war es mit der Architektur bestellt. Nachdem
die italienische Baukunst bereits im Anfange des 16. Jahrhunderts ihren
Einfiufs auf Frankreich geltend gemacht , und italienische Architekten *)
in der Ausbildung der französischen Renaissance thätig gewesen, bildete
sich unter Heinrich IV. und Ludwig XHI. in der zweiten Hälfte des
16. und Ende des 17. Jahrhunderts der französische Baroque- und Roccoco-
styl**) aus in welchem die inneren und äufseren Gesetze der architektoni-
schen Formen ganz unberücksichtigt zu sein scheinen, und allerhand
Willkürlichkciten in deren Behandlung vorkommen. Hohe Dächer, thurm-
artige Schornsteine, eine gewisse Selbstständigkeit und Unabhängigkeit des
Ornamentes in dem Vorwalten und der Formbildung desselben gegen den
architektonischen Organismus des Ganzen , gekrümmte Linien im Grund-
risse und in der Ansicht, Schnörkel, Muscheln, Blumen- und Frucht-
gewinde, verkröpfte Säulen, Pflaster und Gesimse, letztere auch vielfach
unterbrochen, bilden das Wesen dieser Bauart, deren ornamentale Elemente
mit den entsprechenden Modifikationen auch auf die Gartenpartieen über-
tragen wurden.

Durch die von Lenötre für den prachtliebenden König Ludwig XIV.

künstlich beschnit- (in den Jahren

tenen Bäumen ge- ,-------------------- „.._, -.....^. :.- ■ ■ y-A.... ■. 1654 bis 1700)

bildet — nach - H ausgeführten Gär-
Grotten führende r:^-- --~--: ten war der An-
Kanäle in den stofs zur Reform

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massen schnei- Bl.j.lJPff^W j^^j^pjg^^^gg ^^^^^^^g^^^^^^^^^ Ilfeld gegeben. Lenötre's

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in regelmäfsigen Jf^1 l^jm? ^^«ninii-—JS?3*' \' LX :-\ • Finanzministers

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räumige Galerien !^^^^^^^^^^^^^^il^S^^^^^^^^^^^ftja^^^^S^g^_^^^^^^^^^^g gefiel, dafs er Le-
mit Grotten und ptg, 6. nötre zum Auf-

Felsenstücken un- seher seiner Gär-

ter den Terrassen, auf welche allerhand theatralische, zum Theil durch
Wasser in Bewegung gesetzte Figuren gemalt oder darauf angebracht
wären, wie z. B. Orpheus mit der Musik und den Thieren, welche nach
seiner Harfe tanzen — sogenannte Irrgärten, die der Unkundige nach
dem ersten Besuche nie wieder betreten mogte — Bänke, die in dem
Augenblick zu zerbrechen drohten, wo man sich kaum darauf gesetzt,
oder wo der sich Setzende von einem jämmerlichen Katzengeschrei auf-
geschreckt , oder von einer Menge von Wasserstrahlen über und über
benäfst wurde — und dergleichen Dinge mehr waren die Bestandtheile
und Ergötzlichkeiten des Gartens. In dem Garten des Cardinais Richelieu
befanden sich sogar unter den Vexirwassern Musketiere, die den Vor-
übergehenden mit Wasser beschossen. und in dem Garten des Grafen
Liancourt war ein Theater mit Scenenveränderung angebracht, wo die

ten und zum General-Controleur seiner Gebäude machte und ihn mit Ge-
schenken und Ehrenbezeigungen überhäufte. Der vordere Theil dieses
Gartens ist in der Skizze Fig. 6 hier dargestellt.

In den von Lenötre entworfenen und den nach seinen Vorbildern
angelegten Gärten blieben jene albernen Spielereien fort und ging das
Bestreben vorzüglich dahin, vom Schlosse aus durch grofsartige streng-
architektonische Prospekte zu wirken, während die Alleen wie Galerieen,
und die einzelnen von hohen beschnittenen Buchenhecken (Wänden)

*) Vorzüglich Pierre Lescot (1510 bis 1578), Jean Bukant und Philibert

Delorme.

**) Die Ausbildung des Roccocostyles wurde besonders beeinflufst durch die
Architekten Francesco Borromini und Lorenzo Bernini.
 
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