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Meyer, Gustav [Hrsg.]
Lehrbuch der schönen Gartenkunst: mit besonderer Rücksicht auf die praktische Ausführung von Gärten und Parkanlagen — Berlin, 1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.19763#0029
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Der holländische Geschmack.

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Der holländische Geschmack

ist denn auch nicht mit Unrecht ein Zerrbild des Schonen genannt
werden.

Das sich durch rothen Ziegelbau und weifsen Fugenputz, sowie durch
häufige Giebelschweifungen und Schneckenbiegungen charakterisirende
Wohnhaus mit dem ganzen Garten oder dem vornehmsten Theile desselben
liegt in vielen Fällen auf einer Insel, die von einem Kanal mit stehendem
Wasser gebildet wird, durch dessen Ausgrabung der Boden zur Aufhöhung
des Gartens gewonnen wurde. Eine schmale und niedrige Terrasse, ge-
stützt von einer aus rothen Backsteinen errichteten und mit Obstspalieren
bekleideten Futtermauer, oder besseren Falles von einer solchen getragen,
die in Felder abgetheilt und mit Muscheln, bunten Porzellanstücken, Glas-
scherben und Steinen in verschiedenen Mustern ausgelegt ist, lehnt sich
an die Vorderfronte des Hauses an. Am häufigsten jedoch ist diese Ter-
rasse mit einer blofsen Rasenböschung versehen und deren oberer Rand
abwechselnd mit Wachholderpyramiden und einzelnen Sträuchorn besetzt.
Der übrige Theil des Gartens liegt flach und eben, ist zuweilen aber noch
in mehrere, stets niedrige terrassenförmige Absätze gebracht. An den
Fufs der Terrasse oder — wenn solche fehlt — unmittelbar an das
Haus, schliefst sich ein mit Blumenparterres ausgefüllter Kaum an, der
von Laubengängen aus Linden mit Oeffnungen in Form von Thüren und
Fenstern, oder von Rüstern-, Linden- oder Taxushecken abgegrenzt wird,
die meist oben wellenförmig gehalten sind, mit daraus hervorstehenden,
kugelförmig beschnittenen Baumkronen. Diese Laubengängo oder Hecken
setzen sich längs des mäfsig breiten Weges fort, welcher von der Mitte
des Hauses den ganzen Garten durchschneidet und zuweilen noch mit
Lindenbäumen mit kugelförmig beschnittenen Kronen und weifs ange-
strichenen Stämmen alleeförmig besetzt ist. Andere dergleichen von
Hecken eingefafste Wege, welche zu Grotten mit Muscheln und bunten
Steinen ausgelegt, zu schmalen und trüben Teichen und Kanälen, die zu-
weilen mit Tulpen- und Hyacinthenbeeten umgeben sind, zu einem kaum
wassertriefenden Springbrunnen mit allerhand grotesken Figuren, Muscheln
und Steingarnituren, zu einem gemalten Prospekt, zu einer abenteuerlichen
Gesellschaft von plumpen Sandsteinfiguren um eine glänzende Glaskugel
aufgestellt, zu einem Schneekenberge und etwas dem Aehnlichen führen,

Fig. 9. Fig. 10.

theilen den Garten in kleinere Quartiere, welche nicht mit Gebüsch, son-
dern mit künstlich gezogenen Obstbäumen, besonders Zwergobststämmen,
regelmäfsig besetzt sind. In Kübeln oder Töpfen gezogenes Zwergobst
vertritt nicht selten die Orangerie auf der Terrasse.

Die kleineren Parterres bestehen aus symmetrischen Figuren aus Bux,
die aus geraden und Bogenlinien zusammengestellt sind und denen meist
das Viereck als Umrahmung dient, wie z. B. Fig. 7 bis 1Ü zeigen;

kommen Rasenstücke unter den Parterres vor, so sind solche von einer
schmalen Blumenrabatte mit Pyramiden und anderen Gestalten aus Taxus
umsäumt und aufserdem von symmetrischen Figuren aus Bux durchzogen,
deren Theile aus $ Bogen, vielen Schleifen und Schneckenbiegungen,
niemals aber aus solchen Vcrschlingungen und Formen bestehen, welche
auf Entlehnung aus dem Pflanzenreiche hindeuteten. Ein Beispiel der
besseren holländischen Parterres ist auf Tafel XI. enthalten. Die Zwischen-
räume der mit farbigem Sande ausgefüllten Buxbaumschnörkel wurden
theils mit einzelnen Taxuspyramiden und Blumenstauden, theils mit Glas-
perleuschnüren, symmetrisch angeordneten Muscheln und Porzellanstück-
chen bunt ausgelegt.

Obwohl die Glanzperiode des holländischen Styles (Ende des siebeu-
zehnten und Anfang des achtzehnten Jahrhunderts) längst vorüber ist,
und auch Holland sich den neueren Ideen über Garteukunst nicht ganz
hat verschliefsen können, so finden sieh doch jetzt noch Gärten daselbst,
welche in ihrem ursprünglichen Zuschnitt aufs Sorgfältigste unterhalten
werden. Dieses ist besonders mit denen des Dorfes Bruck der Fall,
welches fast ausschliefslich von reichen (Japitalisten bewohnt wird, welche
in Ruhe und Zurückgezogenheit den Rest ihres Lebens in den alterthüm-
lichen Gewohnheiten zubringen.

Das Dorf zieht sich — bemerkt Johanna Schopenhauer — in einem
Halbkreise um ein Bassin, welches zwei sich hier vereinigende Kanäle
bilden. Die Strafsen sind so schmal, dafs kein Wagen hindurchfahren
kann; das Reiten ist durch hin und wieder angebrachte Barrieren eben-
falls verwehrt. Keine Kuh, kein Pferd, kein Schaf darf durch die
Strafsen gehen, alle Thiere werden hinten herumgeführt; ja, wenn es
möglich wäre, würde man auch den Vögeln verbieten über die Strafsen
wegzufliegen. Das Pflaster besteht aus sehmalen und bläulichen glasirten
Ziegelsteinen: man nennt sie Klinker. Diese sind in allerhand Muster
geordnet, sodafs es aussieht, als wären die Strafsen mit türkischen Tep-
pichen belegt. Kein Schmutz wird darauf geduldet; alles ist wie der
Fufsboden im elegantesten Salon; die zwischen dem Pflaster aufspriefsen-
den Gräschen rupft man sorgfältig aus.

Die Häuser sind nicht grofs, aber zierlich, geschmacklos und bunt,
als kämen sie aus einem nürnberger Spielzeugladen. Vor jedem Hause
liegt ein Gärtchen; dadurch stehen sie weit genug auseinander um das
gehörige Licht zu erhalten, ohne dafs die Strafsen breiter wären, als es
für zwei oder drei neben einander gehende Personen nöthig ist. Jedes
Haus hat zwei Thüren: eine im Hintergrunde für den täglichen Ein- und
Ausgang, die andere an der Hauptfronte des Hauses; letztere wird nur
an den drei Hauptepochen des Lebens mit grofser Feierlichkeit geöffnet,
nämlich bei Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen. Dann setzt man auch
die Treppe hin, die zu diesen, einige Fufs über der Erde erhabenen Ein-
gängen hinaufführt; sowie aber das Fest vorüber ist, wird sie gleich
wieder weggenommen, damit ja kein unberufener Fufs die heilige Schwelle
berühre. Diese Vorderthür, der Stolz ihres Eigners, der höchste Schmuck
des Hauses, ist stattlich vergoldet, bunt angemalt und mit allerlei krausem
Schnitzwerk auf das überladendste geschmückt. Ueber derselben prangt
eine Art Hautrelief aus Spielpuppen ähnlichen, vergoldeten und angemalten
Figürchen zusammengesetzt; gewöhnlich ist darunter irgend eine sinnreiche
Anspielung auf den Besitzer des Hauses, auf seinen Namen oder sein
Berufsgeschäft verborgen.

Die Gärten vor den Häusern sind ebenso wunderlich anzuschauen:
alles ist darin zu finden, nur keine Natur. Da sieht man Bäume, die
gar nicht mehr wie Bäume aussehen: so verschnitzt sind ihre Kronen; die
Stämme werden zur gröfseren Zierlichkeit mit weifser Oelfarbe angemalt.
Da stehen alle möglichen und unmöglichen Thiere der bekannten und un-
bekannten Welt aus Buxbaum geschnitten, neben Säulen, Pyramiden und
Ehrenpforten von Taxus. In der Mitte des Gärtchens erhebt sich noch
eine ganz auserlesene Verzierung: etwa ein buntgemalter, auf einem Fasse
sitzender Holländer oder Türke, der sein Pfeifchen raucht, oder ein un-
geheurer Blumenkorb, aus welchem ein kleiner, ganz weifs angemalter
Gärtner mit vergoldeten Händen und Füfsen schalkhaft hervorblickt. Den
Boden bedecken unzählige krause Schnörkel von Buxbaum, nett gezogen.
 
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