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Meyer, Gustav [Hrsg.]
Lehrbuch der schönen Gartenkunst: mit besonderer Rücksicht auf die praktische Ausführung von Gärten und Parkanlagen — Berlin, 1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.19763#0030
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37 Der chinesische Gartenstyl. 38

als wären sie mit der Feder gerissen. Ausgefüllt mit bunten Glas- ! hohen Ausbildung gelangt war. Ferner hatte die Verbreitung und Kultur

koralloii', Muscheln, Steinen und Seherben in allen möglichen Farben,
nach der schönsten, steifsten Symmetrie, gleichen diese Gartenparterres
kolossalen geschmacklosen Stickereien. —

Gleichzeitig mit dem französischen Style, mit welchem der hollän-
disch* häufig verwechselt wurde, und an dessen Stelle er oft in be-
schränkten Lokalitäten und beim Mangel des erforderlichen Aufwandes
Anwendung fand, machte auch der die Natur vollends verunstaltende
holländische Gartenstyl die Kunde durch das nördliche Europa, obwohl die
Landschaftsmalerei oder die Darstellung des Naturschönen — z. B. in den
Werken eines Claude Lorrain (1600—1782) , Ruysdael (1635 — 1681),
Nikolas Poussin (1594—1655), Gaspard Poussin (1613—1675), Ever-
dingen (1621 — 1675), Carl Dujardin (1644—1687) — bereits zu einer

exotischer Gewächse durch die Entdeckung Amerika's, besonders nachdem
die Engländer (1605) festen Fufs darin gefafst hatten, grofse Fortsehritte
gemacht, und botanische Gärten fast Uber ganz Europa ins Leben gerufen;
Schilderungen des Vegetationscharakters fremder Zonen regten zu fernen
Reisen und zu eifrigem Naturstudium an und erweckten den Sinn für das
Natnrschöne ; aber immer noch war die Gewalt der Mode und des Alt-
hergebrachten noch zu grofs, als dafs von den allgemeinen Regungen auf
den Gebieten der Kunst und Wissenschaft auch die Gartenkunst ergriffen
und an eine neue Richtung derselben, an die Darstellung der freien
Natur um die Wohnungen und über ganze Landsitze, gedacht worden
wäre, wie solches in China längst der Fall war.

Der chinesische Gartenstyl.

Wir haben keine zuverlässige Nachrichten seit wann der natürliche
Gartenstyl bei den Chinesen herrschend ist, obwohl ihre Literatur auch
über diesen Gegenstand weiter zurückreicht, als die aller übrigen Völker;
es ist in ihren älteren historischen Schriften zwar der ausgedehnten
Gärten ihrer Kaiser, nicht aber ihrer besonderen Einrichtung speciell
genug gedacht.

Schon die Gärten des Kaisers Tscheu, des ersten der von Wu-
Wang 1222 vor Chr. gestifteten Dynastie dieses Namens, waren so
grofs*), dafs der Ackerbau dadurch gefährdet, das Volk mit den Lasten
ihrer Unterhaltung überbürdet und zur Empörung und Zerstörung der
Gärten gezwungen wurde. Diese Gärten, darf man vermuthen, waren
noch den alten persischen, von langen geraden Alleen durchschnittenen
Paradiesen ähnlich; denn etwa ein Jahrhundert später brachte sich noch
der prachtliebende Kaiser Mu-Uang, ein Zeitgenosse Salomo's, welcher
den Occident (Turan, Afghanistan, Persien) bereiset hatte, Künstler von
dort mit, um ihnen die Leitung des Baues seiner grofsartigen Schlösser
und Gärten zu übertragen. Der übermäfsige drückende Luxus dieser
Dynastie rief eine zweite Revolution hervor, bei welcher die Dynastie
,24 7 v. Chr.'; gestürzt wurde und ein chinesischer Held, Tsinchi-Hoang,
sich auf den Thron schwang, die Dynastie der Ts in stiftete, sehr bald
ebenfalls einein übermäfsigen Luxus huldigte, und sich Gärten von mehr
als 30 Stunden im Umfange anlegte, die unseren Parks sehr ähnlich
waren und mit vierfüfsigen Thieren, Fischen, Vögeln, Bäumen, Sträuchern
und Blumen aus allen Ländern besetzt waren. Die Geschichte erwähnt,
dafs er darin allein an dreitausend Arten von Bäumen vereinigt, und —
um seine Siege recht zu geniel'sen — darin ebenso viele Palais habe er-
bauen lassen, als er Königreiche und Fürstenthümer zerstört hatte, zu
welchen die schönsten Gebäude derselben als Muster dienten. Auf die
Bemerkung eines seiner Minister, der die Stimmung des Volkes über die
drückende Last der Unterhaltung der Gärten kannte, dafs er in den
Gärten gar vielen unnütz liegenden Boden habe, der, wenn dem Acker-
bau zurückgegeben, eine Wohlthat für das Volk sein und dieses zu grofsem
Danke gegen den Kaiser verpflichten würde, antwortete er durch tägliches
Hinzufügen neuer Gebäude, Gehölze, Bassins, Kanäle und Grotten, bis
sein Tod dieser immensen drückenden Unternehmung, der Verwandlung
einer ganzen Provinz in einen Garten, und seiner Dynastie (206 v. Chr.)
ein Ende machte.

Die gröfsten der europäischen Gärten sind im Vergleich zu denen,
welche U-ti, der erste Kaiser der hierauf folgenden, 197 v. Chr. gestif-
teten Dynastie der Hau besafs, nicht gröfser als ein mäfsiges Parterre;
denn sie hatten mehr als 50 Stunden im Umfange und waren dergestalt
mit Palais, Häusern, Kabineten, Grotten u. s. w. besäet, dafs jeder Theil
in demselben so viele Scenen und Dekorationen darbot, dafs die Be-
wunderung erschöpft wurde. Dreifsigtausend Sklaven waren bei der Ein-
richtung dieser freien Gartenanlagen beschäftigt, und sämmtliche Provinzen
des Reiches mufsten zu den Gärten abschicken, was die Natur dort in
den verschiedenen Jahreszeiten Schönes erzeugte an Blumenpflanzen,

*) Me"moires concetnants l'histoire, les sciences, les arts etc. des Chinois, par
les inissionaires de Pekin. A Paris 1782. Tome VIII, Chapitre »Essai snr les jardins
de plaisance des Chinois.« pag. 301.

Sträuchern und Bäumen. Der Kaiser glaubte seine Gärten nach Ver-
hältnifs seines Reiches, dessen Grenzen er bisj an das caspische Meer und
bis Indien vorgeschoben hatte, ausdehnen zu müssen, und es gelang ihm
in der That die gröfsten Gärten zu besitzen, welche jemals existirt haben.

Seine Nachfolger waren zwar nicht weniger prachtliebend, zogen es
aber vor, anstatt die Gärten noch weiter auszudehnen, sie in einem Um-
fange von 1 8 bis 20 Stunden mit wahrhaft überschwenglicher Pracht und
mit Neuem, womit sie glauben konnten, dafs sie sich verewigen würden,
auszustatten. Einige wählten als Terrain zu ihren Umänderungen die
sterilsten und undankbarsten Orte , um die Natur durch Menschenhände
und den Beistand industrieller Mittel zu besiegen und zu übertreffen;
andere änderten im Ganzen; Berge und Hügel wurden abgetragen oder
neu geschaffen, Felswände gebildet und Ebenen und Thäler mit Hügel-
ketten, Seen und Teichen, Flüssen und Bächen auf 25 bis 30 Stunden
Länge durchzogen, welche den Eindruck von Leben und Bewegung her-
vorbrachten und mit jedem Schritte die reizende Perspektive der ver-
schiedenen Aussichtspunkte änderten und verschönerten. Noch andere
bildeten Einzelnes weiter aus, oder vereinigten Engpässe und Hohlgründe,
Thäler und Ebenen, Felsketten und Wälder , Felder und Wiesen, Seen,
Teiche, Flüsse, Städte und Dörfer zu einem mehr geordneten Ganzen,
und versahen diesen Extrakt der Welt mit einer Umschliefsung. Als den
Kaisern endlich nichts mehr zu thun übrig blieb , um in den Gärten mit
dem Ruhm ihrer Vorgänger zu wetteifern, erging sich der Luxus in der
Herbeiziehung und äufsersten Anspannung der anderen Künste, der Archi-
tektur, Skulptur und Malerei, welche sich an Genie und Erfindung zu
übertreffen suchten in der Errichtung und luxuriösen Einrichtung von
Palais, Galerien, Thürmen, Salons, Kabineten und Gebäuden aller Formen
und Gröfsen, welche die Augen von allen Theilen des Gartens auf sich
zogen, oft aus wohlriechendem Holz und kostbarem Marmor erbaut, und
überdies noch von Porzellanarbeiten und vom Glänze des Goldes und
Silbers verziert waren. Etliche erhoben sich — nicht selten zum Nach-
theile der Aussicht — in der Mitte von Gewässern; andere waren auf
Bergen oder Felsen schwebend über Abgründen erbauet. Einige dienten
die Scenerie der Aussicht zu bereichern und mit mehreren anderen ein
Ganzes zu bilden, und noch andere waren in lieblichen Thälern in gänz-
licher Verlassenheit oder ländlicher und wilder Abgeschiedenheit errichtet.
Alles Uebrige war von solcher Ausschweifung und in so blendender Pracht
mit einander vereinigt und unterhalten, dafs man unter dem Kaiser
Yang-ty die von den Bäumen abgefallenen Blätter und Blumen durch
künstlich aus Seide verfertigte ersetzte, und um die Täuschung voll-
kommen zu machen, sie auch parfümirte.

Unter der Dynastie der Tang, Tsong und Yuen, in der Zeit vom
7. bis 14. Jahrhundert nach Chr., wurden ebenfalls keine Vergröfserungen
der Gärten zum Nachtheil des Ackerbaues und Volkes vorgenommen;
dennoch waren sie immer noch sehr ausgedehnt. Man suchte nunmehr
durch die Auswahl der Ornamente und durch den guten Geschmack in
der Vertheilung derselben, durch die Schönheit der Blumen und Selten-
heit der Bäume, dnreh das Schauspiel der Wasser und durch alle Er-
findungen eines verfeinerten Luxus mit den Vorgängern zu wetteifern.

Dafs diese Gärten im Ganzen nach denselben Grundsätzen angelegt
waren als unsere heutigen Parks eingerichtet werden, und Felswerk und

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