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Meyer, Gustav [Hrsg.]
Lehrbuch der schönen Gartenkunst: mit besonderer Rücksicht auf die praktische Ausführung von Gärten und Parkanlagen — Berlin, 1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.19763#0054
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I. Abschnitt.

Allgemeine Grundsätze für die Anordnung.

a. Allgemeine Grundsätze für die Anordnung im Grossen

und Ganzen.

Nachdem die Gartenkunst aufgehört hat blos im Dienste des sinn-
lichen Bedürfnisses und des reiu individuellen Geschmackes zu stehen,'
nachdem sie bei Herstellung ihrer Werke die Natur zu ihrem Vorbilde
genommen, und in der Anordnung allgemein giltigen ästhetischen Grund-
sätzen folgt, betheiligt sie sich an der allgemeinen Bestimmimg der
Künste : dem Menschen Nahrung für die edleren Regungen seiner Seele
zu bieten, das Gemüth mit dem Schönen für das Wahre und Gute zu
stimmen, und hierdurch ihm einen höheren Lebensgenufs zu bereiten.

In sofern sie uns in der näheren Umgebuug der Wohnung durch
Verwendung exotischer resp. tropischer Gewächse einen Theil der Heize
südlicher Natur, und in den entfernteren Theilen des Gartens, im Park
oder in der freien Landschaft, die heimische Natur darstellt, entspringt
das Interesse an ihren Werken theils aus der Qualität des Materiales,
welches zur Verwendung kommt , theils und vorzüglich aber aus der
Schönheit in der Anordnung.

Da jedes Schöne ein um so anhaltenderes Interesse erweckt, wenn
es mit Nützlichkeit gepaart ist, oder seinen Ursprung in dem Nützlichen
hat, so mufs das Bestreben bei der Anordnung eines Gartens zunächst
dahin gerichtet sein, dass er den besonderen Lebensverhältnissen und
Gebrauchsanforderungen des Besitzers genüge und für den Aufenthalt
im Freien Schutz, Bequemlichkeit, Behaglichkeit, Eleganz und alles
dasjenige darbiete, was ihn besonders wohnlich, anziehend und unter-
haltend oder nützlich macht. In Parks und Parkanlagen ziehe man
des reinen Nutzens halber auch Wiesen, Mühlen und selbst ein Vorwerk
hinein, so weit es angeht ohne der natürlichen Schönheit durch zu aus-
gedehnte sichtbare Kultur Abbruch zu thun; bei der Verschönerung
eines ganzen Landsitzes und ganzer Gegenden aber soll das Schöne
gänzlich ans dem rein Nützlichen — welches in Wäldern, Porsten,
Obst- und Weingärten, Hecken, Rainen, wohlunterhaltenen Wiesen,
Tabacks-, Mays- und Getreidefeldern bestehen möge — entspringen;
es muss jedoch in allen diesen Fällen die Rücksicht auf Nützlichkeit
durch formale Zweckmäfsigkeit vollkommen überwunden erscheinen, oder
es muss die Gestaltung und Wirkung des Ganzen an sich so vollkommen
erscheinen, als ob die Rücksicht auf Nützlichkeit oder Wolmlichkeit
auf die allgemeine ästhetische Gestaltung keinen sichtlichen Einfluss aus-
geübt habe, und das Ganze wie aus freier Selbstbestimmung hervor-
gegangen sei.

Wie die Nützlichkeit eines Werkes der Gartenkunst also über-
haupt darin besteht, dafs es seinem praktischen Zwecke, nemlich zur
Annehmlichkeit oder zum Nutzen des Menschen zu dienen, entspreche,
so besteht die Schönheit desselben in der sinnigen Auswahl des Ein-
zelnen und der Anordnung desselben zu einem mannigfaltigen vollkomme-
nen Ganzen.

Das Vergnügen an dem Schönen dieser Werke kann durch histo-
rische Verknüpfungen gesteigert werden, wenn die Gegend dazu geeig-
nete Anknüpfungspunkte darbietet, wie z. B. Ruinen und andere Denk-
zeichen aus der Vorzeit. Jedoch kann die Wirkung solcher Verknüpfun-

gen nur von denen empfunden werden, welche die Geschichte des Platzes
oder der Familie genau kennen; für jeden Anderen haben die Gegen-
stände, welche die Träger der historischen Ueberlieferung sind, nur
Werth, insofern sie die Mannigfaltigkeit und Abwechselung im Ganzen
zugleich erhöhen und den Ausdruck desselben zu verstärken fähig sind.
Da indefs jeder sein Besitzthum zunächst nur für sich und seine Familie
verschönert, so wird er jeden geeigneten, einem Anderen vielleicht oft
geringfügig scheinenden Umstand benutzen, um das historische Interesse
des Platzes zu erhöhen; er wird besonders vorhandene Denkzeichen und
Denkmäler zu conserviren und mit der neuen Anordnung oder Ver-
schönerung der Umgebung sinnig zu verflechten bestrebt sein. Alte
gothische Ruinen, bis zu deren Mauern oft der Kampf heranbrauste, an
deren Festigkeit wie an der Tapferkeit der Ahnen mancher wüthende
Sturm zurückprallte, kirchliche und manche andere Baulichkeiten, selbst
ein Baum, bei einer feierlichen Gelegenheit gepflanzt, ein Plätzchen das
dem Freunde, der Freundin besonders lieb war, sie müssen willkommene
Gegenstände in einer Anlage sein, weil sie das Interesse des Platzes und
das Vergnügen daran vielfach erhöhen. Beruht doch der Genufs am
Schönen und Erhabenen, wie Alison (Essays on the Principles of Taste.
1750"; darthut, auf Stimmung, auf persönliche Beziehungen zum Gegen-
stande und im Allgemeinen auf Associationen. Und welche Beziehungen
könnten der Einbildungskraft wohl reichhaltigeren Stoff darbieten als
jene, welche sie in die romantische Zeit der Vorfahren und ihrer Thaten
sich versetzen lassen !

So verschiedene Erklärungen über das Wesen des Schönen auch
gegeben worden sind, so stimmen sie doch alle darin Uberein, dafs blofse
Verschiedenheit oder Mannigfaltigkeit noch nicht Schönheit begründe, son-
dern dafs das Schöne bestehe in der Einheit des Mannigfaltigen,
oder in d er Uebereinstimmung mannigfacher Theile zu einem
Ganzen nach Zweck, Form und Wirkung.

Es mufs daher, da nur das nach Zweck, Form und Wirkung Ueber-
einstimmende zu einem schönen Ganzen oder zu einer freien Einheit
zusammengefasst werden kann, eine allgemeine Grundform oder
Typus, ein Grundton oder eine Grundstimmung das Ganze
durchdringen und jeden einzelnen Theil beherrschen, welche Bedingung
des Schönen wir Ausdruck nennen ; es mufs ferner Mannig-
faltigkeit im Ganzen oder Abweichung und Contrast sich in
den Theilen und in ihrem Verhältniss zu einander zeigen; jedoch nur
so viel, als es deren Verbindung untereinander und ihr Zusammen-
fassen zu einem Ganzen zuläfst; es muss sich nächstdem alles orga-
nisch, natürlich oder wahr entwickeln; d. h. jeder Theil mufs,
nach Art organischer Gliederung, der Wichtigkeit und Eigonthümlich-
keit seines Zweckes in seinen quantitativen und qualitativen Verhält-
nissen genau entsprechen, und nach Mafsgabe dieser Verhältnisse seine
im Ganzen ihm gebührende Stelle einnehmen, welche Bedingung des
Schönen wir Haltung nennen. Ausdruck und Haltung geben dem
Ganzen Charakter. Endlich mufs das Ganze sich als ein Vollkom-
menes darstellen, oder es mufs die Anzahl und Ausbildung der Theile
der Art sein, dafs im Betracht zum Ganzen sich kein Theil als zu viel
oder überflüssig erweise , es mufs kein Theil zu fehlen scheinen,

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