Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
120

Drittes Capitel. Stile Bramantesco.

Dolcebuono blieb „im freien Verständnifs des Classischen“ Bramante unbedingt am
nächsten. Wie durch die älteren Theile von S. Celso, so wird dies auch durch den zweiten
Hauptbau Dolccbuonos in Mailand bezeugt, der sein ehemaliges Gepräge weit harmonischer
bewahrt hat: durch S. Maurizio.4) Als man im Anfang des 16. Jahrhunderts den Neubau
dieser noch in frühmittelalterliche Zeit zurückgehenden Klosterkirche der Benedictinerinnen
in Angriff nahm, galt es, ein besonders ungünstiges Bauprogramm zu erfüllen. Nur eine
einschiffige Anlage war möglich, die der Länge nach in eine den Laien zugängliche Vorder-
und eine nur für die Nonnen bestimmte Hinterkirche getheilt wurde. Die Behandlung
beider Räume ist diesseits und jenseits der Querwand jedoch die gleiche. Nach dem den
Ccntralkirchen entlehnten Princip zeigen sic unten rundbogige Flachnischen, oben Emporen.
In beiden Geschossen herrscht dabei die dorische Ordnung. Während dies Alles schon der
Hochrenaissance entspricht,1 2) bewahrt die Wölbung dieser zehn Joche noch einen gothischen
Charakter, denn hier ist noch das Netzgewölbe mit Mafswerkmalereien angewandt. Darin
sicht Beltrami eine Einwirkung des Domes, sicherlich mit Recht, denn Dolcebuono stand
1503, als der Bau von S. Maurizio begann, ja auch an der Spitze der Dombauhütte. In
der reifen Renaissance der inneren Raumgestaltung, über den Gestalten Luinis, wird dieser
echt lombardische Archaismus doppelt bezeichnend, zumal auch die Front den Gegensatz
verschärft. Denn diese zeigt bei oben rundbogigem Abschlufs eine ganz renaissancegemäfse
Stockwerktheilung, ähnlich, aber mit weit günstigeren Mafsverhältnissen und weit reiferen
Details, wie die Miracoli-Kirche in Venedig. Ihr Stil entspricht etwa der Zeit, in der die
Kirche geweiht wurde (1519).3 4) Der Schöpfer des Planes, Dolcebuono, starb schon drei
Jahre nach Beginn des Baues, 1506. Er war der reinste Vertreter Bramantesker Formen,
der denselben noch immer etwas von der Frische der Frührenaissance zu wahren wufste.
Mehr als alle anderen Bramanteschüler war daher Dolcebuono dazu berufen, das Hauptwerk
der echtesten, national lombardischen Kunst zu Ende zu führen: die Front der Certosa bei
Pavia. Ohne Disharmonie war dies freilich auch ihm nicht möglich. —-
In Mailand selbst aber wurde der Classicismus bald zum Schematismus, der um
so leerer wirkt, je gröfser er seinen Mafsstab wählt.
Das bezeugt vielleicht am schlimmsten die an die Kirche S. Nazaro südwestlich
angebaute Grabcapelle der Trivulzio. Zu dem Kircheninneren, wo die weitgespannten
Gewölbe die verhältnifsmäfsig niedrigen Mauern gleichsam in den Boden hinabdrücken,
bietet die gewaltige Höhe dieser innen achteckigen, aufsen quadratischen Capelle einen
gar seltsamen Contrast. Der schon an sich sehr beträchtliche Höhenmafsstab steigert sich
im Eindruck noch durch die Art der Wandbelebung, welche die Mauer nur durch ganz
ungleiche über einander befindliche Nischen — unten die vier hohen Diagonalconchen,
darüber die Nischen für die häfslichen, wannenartigen Sarkophage — durchbricht, und
jede plastisch in den Raum einspringende Horizontalgliederung so geflissentlich meidet,
dafs über dem hohen, flachen Gesims, unterhalb der rechteckigen Fenster, selbst der zu
erwartende Emporenumgang einem von Consolen getragenen Gitter weicht. Die Kuppel
wirkt auf diesem Unterbau natürlich zu niedrig, und aufsen verkleidet sie ein riesenhafter
Ziegelthurm, dessen Schwerfälligkeit auch die noch ziemlich gut gezeichneten unten
dorischen, oben jonischen Pilaster nur wenig mildern. Raumgröfse und Raumhöhe ohne
künstlerisches Leben, nackt und kalt — das ist ein Bankerott des Stile Bramantesco, den
eine gedankenlose Verwaltung der Erbschaft Bramantes freilich nur hier verschuldet hat.4)

1) Vergl. Beltrami, La chiesa di S. Maurizio in Milano etc. in der Ztschr. „Emporium“ vol. IX.
Nr. 49. Bergamo 1899. Januarheft.
2) Ebenso die Arcadenform der Emporen mit ihren Halbkreisbögen. Vergl. oben S. 117 die
Fenster von S. M. della Passione.
3) Jetzt erneut. Vergl. Relazione VI e VII dell’ Ufficio Regionale per la conservazione dei
monumenti in Lombardia. Milano 1899. S. 20 ff.
4) Darf man hier wirklich auf Bramantino schliefsen, oder nicht vielmehr mit Mongeri (a. a. O.
S. 255) auf einen zu ungewohntem Werk berufenen Meister zweiten Grades, wie Francesco
Briosco? Für die Zeit giebt der Tod des Marschall Gian Giacomo Trivulzio (1518) Anhalt. Die recht-
eckigen, getheilten Fenster unter der Kuppel entsprechen in ihrer stilistischen Behandlung einiger-
 
Annotationen