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Viertes Capitel.

Front und Querschifl der Certosa bei Pavia.
Grabdenkmäler.

I. Die Certosa-Front.

Iie Front der Certosa bei Pavia ist das wichtigste Denkmal der national-lom-
- bardischen Zierkunst; sie enthält deren ganzes geschichtlich mafsgebendes
Glaubensbekenntnifs. Ihre Charakteristik ist daher eine Hauptaufgabe dieser
| Studien.
Dabei wird schon bezeichnend, dafs diese Fapade ihr Gepräge keineswegs durch
eine einzelne, alle Genossen weit überragende Künstlerpersönlichkeit empfangen hat, sondern
durch eine grofse Künstlerschaar, welche der corporative Zug des oberitalicnischen Kunst-
schaffens hier zum reichsten Wirken verband. Fast durch ein Jahrhundert sind die ersten
und die letzten. Arbeiten an dieser Front von einander getrennt, und Hunderte von Händen
sind für sie thätig gewesen. Schon ihr Gesamtorganismus darf nur historisch gewürdigt
werden.

Frontmodelle.
Die heutige Fa^ade ist vollständig das Werk der Renaissance, aber sie enthält in
ihrer tektonischen Grundform noch Nachklänge echt lombardisch-mittelalterlicher Motive.
Dies erklärt sich aus ihrer Geschichte. Ihr erster, den Tagen des Bernardo da Venezia
angehörender Plan mag für die Backsteinkirche eine ähnliche, organisch mit ihr verbundene
Backsteinfront vorgesehen haben, wie sie S. Maria del Carmine und S. Francesco in Pavia
zeigen, allein schon Guiniforte Solari nahm zweifellos auch mit der Front wesentliche
Umgestaltungen vor. Die Decorationsweise Solaris, seinen kraftvollen Uebergangsstil, in
dem sich altlombardischer Geschmack mit der Formensprache des Backsteins und mit den
vor allem durch Filarete eingeführten antikisirenden Details so charakteristisch verbindet,
kennen wir zur Genüge aus seiner Behandlung der Osttheile, und einen immerhin noch
ähnlichen Stilcharakter trägt eine der wichtigsten Nachbildungen der Certosa-Front. Es
ist dies das Kirchenmodell, welches Gian Galeazzo Visconti auf dem die Südwand des Quer-
hauses schmückenden Fresco Bergognones der Madonna darbringt (Abb. 79). Klar spiegelt
diese Front die fünfschiffige Raumgliederung des Inneren, zunächst durch die kräftigen
Strebepfeiler, die an den Ecken des Baues doppelt so breit sind wie die mittleren, ferner
durch die in parallelen Schrägen abfallenden Dachlinien der einzelnen Schiffe. Auch die
Zwerggalerien des Langhauses sind durchgeführt. Die Zahl der Oeffnungen ist beschränkt:
in der Mitte ein breites, sehr stattliches Rundbogcnportal; vor den inneren Schiffen je ein
schlankes, getheiltes Rundbogenfenster; vor den äufseren, in Capellen gegliederten, nur ein
kreisrundes Fenster, und im Mittelschiff oben zwischen den beiden Zwerggalerien eine nicht
wesentlich gröfsere Rose. Stark wird die Horizontalgliederung betont, schon am Sockel,
wo bereits hier eine hohe, doppelte Fensterreihe vorgesehen ist, ebenso an den zahlreichen,
 
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